Beides, Stau und Kultur, sind langweilig. Und umgekehrt: Was trennt den Alpen-Stau von der Kultur? Erstens: In der Blechkolonne ist es stets langweilig. Im Theater und Konzert nicht immer. Zweitens: Die Langeweile vor dem Tunnel ist bekannt. Über die Langeweile bei der Kultur hingegen wird geschwiegen. Nun wollen wir darüber reden.

 

«Über alles kann man sprechen, nur nicht über Dreiviertelstunden.« Der Spruch ist alt, hübsch und wahr. Den Kulturschaffenden wollen wir gerne ein paar Minütchen dazugeben. Aber warum um Himmelswillen glauben die Bühnenleute, dass sie für ihre Botschaften, ihre Missionen, ihre Überzeugungen länger als sagen wir mal anderthalb Stunden benötigen. Dauerts länger, sagt meine Geduld adieu, sagt meine Konzentration ciao, sagt mein Hintern autsch.

 

Als eine der wenigen Branchen kümmert sich die Kultur nicht um Kundenzufriedenheit. Soll sie auch nicht. Denn sie hat hochgestochene Ziele: den Auftrag, die Botschaft. Und gerade jetzt: die allumfassende Gleichstellung. Schön und gut: Aber muss denn das alles zulasten meiner Geduld gehen?

 

«Ennui». Unsere Urururgrosseltern beim Gähnen. Lithographie von Robert Seymour, London, 1839. Liszt-Collections.

 

Kommt dazu, dass der Applauszwang die Theatervorstellungen und Konzerte verlängert. Niemand klatscht in einer Ausstellung, niemand im Kino. Im Theater hingegen schafft es der Gruppendruck, dass die Besucher selbst bei XXL-Aufführungen per Beifall ein weiteres X anhängen. Die immer häufigeren Standing Ovations verschärfen das Problem. Oder entschärfen sie es? Nach überlangen Vorstellungen ist das Publikum froh, dass es endlich aufstehen und sich bewegen kann.

 

Kultur ist langweilig. Ich räume ein, dass in dieser Aussage neben Wahrheit auch Ironie steckt. Also: Kultur ist auch langweilig. Auch Kultur ist langweilig. Nachdem ich das zugegeben habe, kehren wir zurück zum Thema. Nämlich:

 

Was kann ich tun gegen Langeweile im Theater- und Konzertsaal?

 

Dösen. Wegdämmern ist die verbreiteste Form der Kulturbewältigung.

 

Nachdenken. Gedanklich woandershin zu entschweben oder sich mit Projekten zu befassen, ermöglicht, die Langeweile positiv zu nutzen. Wichtige Teile dieser Kolumne sind so entstanden.

 

Während der Pause verschwinden. Flüchten, wenn die andern am Buffett stehen, erlaubt gefahrlos Negativ-Applaus zu spenden. Mehr leere Stühle im Zuschauerraum sind stumme Buhrufe.

 

Während der Vorstellung verschwinden. Es ist die Königsdisziplin im Kampf gegen die Langeweile. Belastbare streben von einem Sessel in der Mitte nach draussen. Weniger Courage braucht es, sich von einem Randplatz zu erheben.

 

Zum Schluss ein paar Beispiele. Die längste Oper dauert … halt, ich ahne, dass Seniorweb-Leserinnen und -Leser wegklicken. Aus Langeweile.

 

Wie urteilen Sie? Ist Kultur (auch) langweilig? Wer ist dafür verantwortlich? Die Theater, die Konzerte, das Publikum? Wir freuen uns, wenn Sie uns und unserer Leserschaft Ihre Meinung über die Kommentarspalte mitteilen