seniorweb.ch, 27. Juni, 2023

Da haben wir uns in den vergangenen Jahren fast hundertprozentig an die Corona-Regeln gehalten. Haben Masken getragen, Abstand gehalten, Pieks 1, 2, 3, 4 erhalten. Zur strübsten Zeit sind wir auf dem Trottoir dem Entgegenkommenden ausgewichen und haben im Migros Plastikhandschuhe getragen. Der Sohn hat für uns Senioren eingekauft und das Bestellte im Garten platziert. Alles, fast alles haben wir getan und geglaubt. Und klammheimlich ein bisschen geschummelt.

 

Nun hören wir, nun lesen wir Kritik. Nicht von Corona-Leugnern, nicht von Trychler-Mannen, nicht von Verschwörungs-Gläubigen. Nein, von Männern und Frauen mit Verstand und Expertise. Die einstige Maskenpflicht im Freien ist jetzt umstritten, ebenso die Massentests, Schulschliessungen und die Lockdowns. Bei Experten und Expertinnen blättert der Lack ab, bei Christian Dosten, bei Karl Lauterbach und bei Daniel Koch etwa. Japan hatte ein überaus strenges Regime, aber trotzdem eine deutlich höhere Übersterblichkeit. Weil sich in Afrika die meisten Länder den Impfstoff nicht leisten konnten, wurde hier wenig geimpft – und die Zahl der Corona-Opfer war kleiner als bei uns.

 

 

Unterdessen ist der Nutzen einiger Corona-Regeln nicht mehr deutlich zu erkennen.

 

Ich habe keine Meinung im Wissenschaftsstreit. Wie sollte ich auch. Aber ich staune über mich selbst. Ich bin ein alltagstauglicher Normalo. Während der Pandemie hatte ich manchmal den Verleider, aber halt doch Gewissheit, dass die Massnahmen nützlich sind. Nun habe ich einen prall gefüllten Sack mit Fragen.

 

Jetzt ist die hohe Zeit jener, die schon immer alles gewusst haben. Ich will nicht zu ihnen gehören, aber trotzdem meinen Senf dazugeben. Bei Sitzungen habe ich immer wieder erlebt, dass sich jede Abteilung als die Allerwichtigste präsentieren wollte. Sie verlangte am meisten Kompetenzen und möglichst viel Budgetgeld, sie beanspruchte die Wahrheit. Das galt für die Produktion, den Verkauf, die IT, die Buchhaltung, die Werbung. Mein Hausmanns-Vergleich: die Virologinnen, die Pharmazeuten, die Medizinerinnen, die Soziologen, die Spitäler, alle, alle wollten sich möglichst weit vorne platzieren und sich als die Allerwichtigsten darstellen. Wie sagt man dem? Hochschaukeln.

 

Immerhin kann ich nun ein gäbiges Goethe-Zitat einsetzen – zum ersten Mal, so viel ich mich erinnere.


Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei und Medizin,
Und leider auch Theologie!
Durchaus studiert, mit heissem Bemühn,
Da steh ich nun, ich armer Tor!
Und bin so klug als wie zuvor.


Aus dem “Faust” ists. Und ich muss gleich bekennen, dass ich weder Juristerei, noch Medizin und schon gar nicht Theologie studiert habe.