Berner Zeitung, 30.12.2015
Reden ist Silber, Schweigen ist gar nichts
Jetzt ist Weihnachten vorbei. Es war stille Nacht, heilige Nacht. Das stimmt soso, lala. Ebenso war es die Zeit, wo wir uns im trauten Kreis getroffen haben. Und redeten. Nun ist allgemein
bekannt, dass es zwei Sorten von Menschen gibt: Solche, die reden, und solche, die zuhören. Jene, die reden, gelten als interessant. Jene, die schweigen, gelten als öde.
Eigentlich müsste es genau umgekehrt sein. Weil jene, die zuhören, mit der Zeit viel mehr wissen als jene, die nie zuhören. Aber wir können die Welt nicht ändern und müssen
hinnehmen, dass jene, die reden, beliebter sind und an Weihnachten die grösseren Geschenke bekommen haben.
Nach den Weihnachten ist vor den Weihnachten. Deshalb lohnt es sich, zu reden statt zu schweigen. Das kann man lernen. Am wichtigsten sind: erstens übertrumpfen, zweitens überholen, drittens übertreffen.
Erstens: übertrumpfen mit Krankheiten. Wenn Partygast A von seinem verstauchten Fuss erzählt, den eigenen Beinbruch, besser noch, den Bypass, ins Spiel bringen. Wenn Kollegin B ausgiebig ihren Schnupfen schildert, mit der selbst gemachten Lungenentzündung zuschlagen. Da ist sogar der Chef ganz Ohr.
Zweitens: überholen mit Ferien. Wenn Sportkamerad C die Flöhe in der Wohnung bei La Spezia lobt, ihn mit den Ratten im Strandresort auf Kos ausstechen. Wenn Nachbar D über den
Stau am Gotthard klagt, ihn mit dem Sumoringer plattmachen, der neben einem im Flugzeug sass. Da legt sogar das Quasselteenie das Smartphone weg.
Drittens: übertreffen mit Widerwärtigem. Wenn sich Vereinsmitglied E über nächtliches Kuhgebimmel beklagt, die Heavy-Metal-Band bemühen, die unterm eigenen Schlafzimmer probt.
Wenn Cousin F vom Einbruch und den gestohlenen Silberlöffeli schwärmt, mit dem rumänischen Klau-Clan vorfahren, mit Lastwagen, Schneidbrenner und gesprengtem Tresor. Da knipst sogar die Tante das
Hörgerät an
Der Güggel krähte unablässig, als ich kürzlich an einem Bauernhof vorbeiging. Die Hühner hörten zu. Dann schwieg er. Die Hühner atmeten auf.