Berner Zeitung, 4.5.2015
Vom Arschgeweih der Kunsthistorikerinnen
Der Künstler konzipiert die Gemälde gleichsam als materialisierte Reflexionsflächen eines Bewusstseins, das in der Welt das Ideale anstrebt.» Was sagen wir dazu? Dazu sagen wir gar nichts, weil
wirs nicht verstehen, sondern uns über Museen ärgern, die ihre Kundschaft beschwurbeln. Hier geht es um das Berner Kunstmuseum, das damit Bilder aus der aktuellen Ausstellung von Max Gubler
beschreibt. Der Satz stammt nicht aus einem wissenschaftlichen Werk. Er gehört zum Saaltext, der dich und mich schlau machen soll.
Schwafeln. Unverständlichkeit ist das Arschgeweih der Kunsthistorikerinnen (Männer mitgemeint). Sie glauben, Hochgestochenes beeindrucke die Szene, dabei ärgert das Tattoo bloss.
Bleiben wir in Bern, aber materialisieren wir unsere Reflexionsflächen in die Kunsthalle. Letztes Jahr waren dort Werke von Vern Blosum zu sehen. Der Künstler existiere zwar nicht, erfahren wir
aus dem Begleittext. Doch: «Mit abstraktem, nicht objektivem Modus Operandi schuf er ein Korpus von Werken, die sich dem Regime der Bezeichnungen und Begriffe auseinandersetzen.» So geht es
ermüdend weiter. Einen einzigen Happen ertragen wir noch, nämlich, dass der fiktive Herr Blosum eine «auktoriale Figur ist, die sich von seiner zivilen Identität unterscheidet».
Schwurbeln. Nach der Kunsthalle verschlägts diese auktoriale Figur ins Zentrum Paul Klee. Die Multimediakünstlerin Catherine Gfeller zeigt zurzeit Werke, die sie dort vor Ort
entwickelt. Hier ist die Schwafeldichte etwas geringer. Immerhin: Zuhanden des Publikums fragt das Museum nach der «Interdisziplinarität» von Gfellers Schaffens, und ob man bei ihren
«Interventionen von einem Kreieren in situ» sprechen könne.
Schwindeln. Mit Worthülsen-Früchten kann man im Nu ein Süppchen kochen. Auch ich. Das Geständnis: Ich war vor vielen Jahren Redaktionsleiter einer Kulturbeilage dieser Zeitung.
Da galt es immer wieder über Ausstellungen zu berichten. Angetrieben durch die unverständlichen Begleittexte, machte ich mich daran, selber welche ins Blaue hinauszuschwafeln. Ohne dass ich die
Bilder gesehen hatte, erfuhren die Leser, dass in jener Galerie «dynamisch-restruktive Werke» zu sehen waren und dass andernorts der Künstler «seine Daseinswelt kontemplativ widerspiegle».
Niemand hat das Blabla gestört, niemand hat den Schwindel bemerkt. Ach ja, und einmal erhielt ich einen Dankesbrief einer Galeristin.