Berner Zeitung, 20.4.2015
Geheime Trends: Keiner kennt sie, jeder macht es
In der Mode ist jetzt grünstichiges Gelb angesagt. In der Politik strebt der Freisinn nach oben. Beim Sex ist Sadomaso ein Muss. Die Wohnung sollte man mit Shabby Chic einrichten. Bei den
Accessoires ist man mit einem Chihuahuaviechlein dabei. Das sind im Frühling 2015 die öffentlichen Trends. Jeder kennt sie. Jeder macht es. Doch gibt es im Hintergrund auch Microtrends, geheime
Trends. Weiss der Himmel, der Teufel oder der Kuckuck, woher sie kommen. Sie sind einfach mal da. Keiner kennt sie. Jeder macht es.
In der Architektur sind zurzeit hohe schmale Fenster beliebt. Ist doch unpraktisch: die Storen, das Putzen, die Gefängnisambiance. Doch: Kein neues Bürohaus in der Region ohne
Schiessscharten.
Im Theater, beim Film, in der Literatur ist Alzheimer das Thema. In den Kinos laufen momentan zwei dieser Filme, am Wochenende waren auf den Berner Bühnen zwei solche Stücke zu
sehen. Klar: Ist ernst, ist nötig. Aber: Erinnert sich noch jemand an Aidsbücher, -filme, -stücke? War ernst, war nötig.
Bei der Begrüssung gab man sich früher eins, zwei, drei Küsschen. Fasste sich vielleicht züchtig an die Schultern. Heute ist die Umarmung angesagt. U.m.a.r.m.u.n.g. Die
Ganzkörperverschlingung, die Gschpürschmiverknüpfung, die Kletterpflanzensymbiose. Sieht aus wie eine Pythonschlange kurz vor dem Lunch.
Beim Auto sind Grau, Schwarz, Weiss und Silber die häufigsten Lackfarben. Langweilig. Aber jetzt die gute Nachricht: Gemäss der jüngsten Statistik rollen immer mehr rote Autos
über unsere Strassen. Ferrari-Schwemme, Testarossa? Nein. Die immer zahlreicheren Mobility-Kutschen sind rot. Also doch kein neuer Trend. Schweizer Autofahrer stehen mausgrau im Stau.
Auf der Weide nennen wir es den Kuhfladeneffekt. Immer wenn die Kuh ihren Stoffwechsel saldiert: Fliegenparty. Immer wenn die Gelateria di Berna eine Filiale eröffnet: Menschenmenge. Dabei sind die Glacen dort auch nicht besser, farbiger oder günstiger. Aber eben: Esst, äh, Kuhfladen, Millionen von Fliegen können sich nicht irren. Mit dem Kuhhandel um die Hin-und-zurück-Möblierung des Berner Stauffacherplatzes haben die Gelaterialeute übrigens den Titel Werbung des Jahres verdient.
Beim Nein-Sagen sagt man zurzeit vorzugsweise «nicht wirklich». Wertet jede Verneinung ungemein auf. Übertrumpft die mutzen Einsilber wie «nein» oder «falsch». Wer dazugehören
will, sagt «nicht wirklich». Muss ich diese Kolumne gelesen haben? «Nicht wirklich.»