Berner Zeitung, 26.1.2015


Von Crevetten, Brunsli und anderen Schuldigen


Vorgestern war ich erkältet: Da wars mir schwindlig. Letzte Woche litt ich unter der Bise: sturmer Gring. An Silvester waren die Crevetten schlecht: Fieber. An Weihnachten hatte ich zu viele Brunsli gegessen: Bauchweh. Ich bin hin und wieder erkältet und leide an Kopf- oder Bauchweh und Fieber.

Dies, weil ich so nicht zugeben muss, dass ich zu viel getrunken habe.


Manchmal bin ich auch präventiv krank. Dann weiss ich schon am Abend, dass ich morgen erkältet sein werde. Es geht nicht nur mir so. Vor ein paar Tagen rief ein Bekannter an und erklärte mir, dass er einen Kater habe. Schuld sei weder er noch der Alkohol, sondern der schlechte Wein. Man sollte etwas dagegen unternehmen: die Bise, die Klimaerwärmung – oder schlechten Wein verbieten.


Es leiden viele Leute unter solchen Erkältungen, unter der Bise, Crevetten, Brunsli oder schlechtem Wein: Politiker, Wirtschaftshäuptlinge, Sportler, Kulturschaffende, Experten. Sie wissen stets, wer oder was schuld ist. Nämlich nicht sie. Wenn die AHV kein Geld mehr hat, sind die langlebigen Alten schuld. Wenn die Schweizer Skirennfahrer verlieren, ist der Schnee schuld. Wenn der Bärenpark viel teurer wird, ist die Geologie schuld.


Wenn das Berner Stadttheater zu wenig Zuschauer hat, ist das Publikum schuld. Wenn die Schweiz die Zuwanderungsinitiative annimmt, sind die Stimmbürger schuld. Wenn die Bergbähnli Verluste einfahren, ist der starke Franken schuld. Wenn der Belper Flughafen Passagiere verliert, ist die Konkurrenz schuld. Wenn der Sohn die Sek und die Tochter das Gymi nicht schaffen, sind die Lehrer schuld. Wenn die Arbeitslosen keinen Job finden, sind sie selber schuld.


Vor zehn Tagen bescherten mir Muscheln Durchfall. Als ich beim Muschelverkäufer reklamierte, wollte der nichts von miesen Muscheln wissen. «Vielleicht haben Sie zu viel getrunken», sagte er.