Berner Zeitung, 17.12.2012
Allerlei, um das Altern zu erleichtern
Seniorenteller sind das Sinnloseste auf der Welt. Dicht gefolgt von Deodorants für Hunde. Beides gibt es. Doch existiert für Senioren tatsächlich allerlei, was das Altern erleichtert.
Lesebrillen und Discos. In Zeiten des abnehmenden Lichts, auch Alter genannt, sind Lesebrillen ein Geschenk Gottes. Ich habe mir angewöhnt, mindestens zwei dieser billigen Dinger bei mir zu
haben. Als ich in einem wirklich feinen Restaurant dennoch keine zur Hand hatte, servierte mir der Kellner auf einem silbernen Tablett eine Kollektion Lesebrillen. Das ist Service. Das hat Stil.
Hilfreich bei Hörgebresten sind überlaute Discos. Nein, nicht zum Hingehen. Aber die Dezibelschleudern sorgen bei den Besuchern für Gehörschäden. Hörbehinderte reden laut. Das nützt uns Alten.
ICE-Erstklasswagen. Ja, es gibt sie auch, hilfsbereite nette Schweizer Kondukteure. Aber bei den deutschen Kollegen im ICE-Erstklasswagen hats System. Die deutschen Schaffner helfen beim Gepäck, servieren die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» und Kaffee und informieren die Enkelin übers Handy, dass die Oma einen Zug später kommt. Selbst erlebt.
Schulschatz-Suchmaschinen. Mit dem Onlineportal Stay Friends kann man Schulgspänli aus der Prim und der Sek wiederfinden. Das macht Spass, weil man keine Klassenzusammenkunft braucht, um anhand der aktuellen Fotos festzustellen, dass das halbe Jahrhundert auch bei den anderen zugeschlagen hat. Das macht nachdenklich, weil der Schulschatz, den man als Lichtgestalt in Erinnerung hat, eine alte Hutzelfrau geworden ist.
Image-Entsorgung. Wenn man sich selbst beneiden könnte, wäre dies ein Grund: Das Alter erlaubt, Hemmungen abzulegen. Ich meine nicht die kommunen Feld-, Wald- und Wiesenhemmungen, sondern die etwas komplizierteren vermeintlichen Rufschädigungen. Früher glaubte ich, dass Hermann Hesse zum Bildungsstandard gehöre. Heute weiss ich, dass er ein Langweiler ist. Früher glaubte ich, dass verschrumpelte Bioäpfel ein Muss seien. Heute weiss ich, dass es genügt, wenn ich selbst Runzeln habe.
Zauberei. Gestresste Supportexpertinnen verwandeln sich durch das Zauberwort Rentner in mitfühlende Computerengel. Das ADSL streikte. Die Telefonsupporterin bewarf mich mit Abkürzungen. Ich
kapitulierte, hisste die weisse Flagge, die mit dem R drauf. Als ich sagte, dass ich Rentner sei, wurde sie verständnisvoll, empathisch, geduldig, sanft, gutmütig. Drei Minuten später war das
Problem gelöst. Das R-Wort funktioniert auch bei Garagen, Bankschaltern und Autozugverladestationsrampen.