Quartierzeitschrift "Arena", September 2019

 

 3004: Das halten viele Länggässler für einPeugeot-Automodell

 

 "Im Viererfeld sollen auch Reiche wohnen." "Die Engehalbinsel ist politisch unsichtbar." Am World Café der Quartierkommission war Mitte Juli süffiges und süffisantes zu hören.

 

3004Beschlüsse darf man bei einem solchen Anlass nicht erwarten. Impulse schon. Die hat das World Café geliefert. Die Spritzigsten: „Die Engehalbinsel hat keine Lobby.“ „Im Viererfeld soll man weiter tschutten können.“ „Wir brauchen keine Friedhofsruhe in der Länggasse.“ „Bern könnte sich nach dem Bahnhofumbau mit einem schlauen Verkehrssystem ein Denkmal setzen.“

 

World Café: Die Quartierkommission Länggasse Engehalbinsel (QLE) hat diese Veranstaltung Mitte Juni im  Kirchgemeindehaus im Rossfeld organisiert. QLE-Geschäftsführer Daniel Blumer moderierte. World Café, das muss erklärt werden. Zuerst: Kaffee gab es nicht. Es ist ein Treffen, neudeutsch ein Workshop, bei dem alle Beteiligten zu Wort kommen sollen.

 

Vier Themen

 

Beteiligt waren zwei Dutzend Männer und Frauen. Sie sind Mitglieder einer der  rund 20 QLE-Organisationen, von den Quartierleisten über die Parteien bis zum Gartenverein. Bloss ein halbes Dutzend Frauen ergänzten im Rossfeld die Männerriege – und das am Tag 3 nach Frauenstreik und Demotag.

 

Die Männer und die wenigen Frauen diskutierten wechselnd zusammengesetzt an vier Tischen vier Themen: Freiräume für die Länggasse, Versorgung der Engehalbinsel, das Viererfeld als Ergänzung und Verbindung. Und: Der Verkehr im Kontext mit der Grossbaustelle Zukunft Bahnhof Bern.

 

Mit dabei waren vier Stadträte und ebenso viele Stadträtinnen, die in diesem Stadtteil wohnen. Alle acht leben im Länggassquartier. Die Engehalbinsel ist zurzeit im Parlament nicht vertreten. Die politischen Schattierungen: 3 SP, 3 FDP, 1 Grünes Bündnis, 1 Grünliberale. 0 Vertreter der SVP. Dahinter steckt nicht politische Absicht: Es wohnt kein SVP-Ratsmitglied in diesem  Stadtteil.

 

Privilegierte Länggasse

 

Im  Länggassquartier entfallen auf jeden Parlamentsangehörigen 1430 Bewohner. Im Restbern sind es 1730 Personen. Die Länggasse ist übervertreten, die Engehalbinsel parlamentarierfrei. Das lässt die Frage zu, ob die Aareschlaufe so mies erschlossen ist, weil sie keine Lobby hat. World-Café-Teilnehmer bestätigten dies und führten damit ins erste Thema ein: die Isolation der Engehalbinsel.

 

Ein kurzer historischer Ausflug immerhin eine Frage zu - nämln der Engehalbinsel. bby hat. Damit ist das erste World-Cafsst das immerhin eine Frage zu – nämlug: Als der Berichterstatter (Ü70) in den Sechzigerjahren nach Bern zog, gab es für kurze Zeit in der Engehalde noch einen verschrumpelten Lebensmittelladen. Später Geborene erinnern sich an die drei Metzgereien, die drei Restaurants, die Bäckerei, die Drogerie, den Trödel- und Blumenladen, den stramm alternativen Milchladen, den Velomech und die Poststelle. Nicht jeder/jede weiss, dass es ein Mini-Puff gab. Alles futsch. Geblieben ist einzig ein Lebensmittelgeschäft, eine Coiffeuse, ein bisschen Streetfood und temporäre Freiwilligen-Cafés

 

Stirbt das Bedürfnis, stirbt der Laden

 

Gegen das Ladensterben haben die Behörden keine Medizin: Stirbt das Bedürfnis, stirbt auch der Laden. Anders ist es bei dem, was man  geschwurbelt als soziokulturelle Einrichtungen bezeichnet: Gemeinschaftszentren, Quartierbüros, Stadtteilfeste, Nachbarschaftshilfen. Hier hat die Engehalbinsel zwar Ansätze, Projekte der Kirchgemeinde oder in der ehemaligen Post etwa. Verglichen mit der Länggasse hat das Quartier jedoch ein Defizit.

 

Und hier hätte die Politik einen Job zu erfüllen. Tom Lang von der Vereinigung Berner Gemeinwesenarbeit: „Solche Räume, spielen eine grosse Rolle. Sie motivieren Bewohner und Bewohnerinnen etwas zu machen oder teilzunehmen.“ Die Engehalbinsel als politisch unsichtbares Gebiet. SP-Stadtrat Martin Krebs bringt es auf den Punkt: „Die Länggässler fragen sich meist bloss, ob 3004 ein Peugeot-Modell sei.“

 

„Bloss nicht so wie im Schönberg“

 

Was fragen sich die Länggässlerinnen und Länggässler sonst noch? Sie fragen sich, ob und welche Freiräume sie haben möchten. Areale unter freiem (Sommer-)himmel, das tönt gefährlich nach Partys, Lärm und Abfall. Eine Teilnehmerin merkte an, dass nicht alle entzückt seien. Die Reaktionen am World Café bewegten sich vorerst an der Schnittstelle zwischen Unverständnis und blankem Entsetzen, dass nicht alle über Freiräume entzückt seien.

 

Dann siegte die Anteilnahme. Konfliktmanagement, Security, Nachbarinnen, die Durchgröhler stoppen waren Stichworte. Mehr Raum als die Probleme nahmen die Chancen ein. Der Hirschenpark  und der Falkenplatz wurden als Möglichkeiten bezeichnet, um Neues zu gestalten. Die Länggässler wollen sich an der Planung und Realisierung beteiligen.

 

Mitreden, mitgestalten, das gilt auch fürs Viererfeld. Die Welt-Kaffee-Teilnehmer wünschten ein durchmischtes Quartier, das gut an den ÖV angeschlossen ist, günstige Wohnungen auch für sozial Schwache, Behinderte und  Betagte, keine Spekulation, gute Nachbarschaft, Räume fürs Gewerbe. Das sind Mainstream-Anliegen, die niemandem wehtun. Daneben war auch Überraschendes zu hören: Der Tschuttiplatz muss bleiben, etwa. Oder: Das Viererfeld soll nicht so tötelig daherkommen, wie das Schönbergquartier. Und: Hier sollen auch Reiche wohnen.