Quartierzeitschrift "Arena", Juni 2019, Kolumne "Die enge Halbinsel"

 

 

Einmal Schulterklopfen 70 Franken

 

Ojemine: Die Osterferien, die Steuern, die Krankenkasse, Himmel, wie ist das Leben teuer.

 

Ich spaziere durchs Quartier. Im Maxi-Laden in der Aaregg genehmige ich einen vorzüglichen Kaffee. In der RBS-Station bewundere ich den kundenfreundlichen dichten Fahrplan und geniesse die frische Brise, wenn ein „Mandarinli“ vorbeibraust. Im Tiefenauspital lasse ich mich von einer kompetenten Expertin über die High-Tech-Vorzüge einer Magnetresonanz-Tomographie aufklären.

 

Eine Pflegefachkraft zeigt mir eines der patientenfreundlichen Wohlfühlzimmer mit Kuschelbett. Dann lenke ich meine Schritte durch den von den Forstbetrieben umweltgerecht gehegten Baumbestand zum Waldkindergarten, wo einfühlsame Pädagoginnen und Pädagogen die Kleinen beim erzieherisch wertvollen Spiel auf ihre berufliche Karriere vorbereiten. Weiter gehts zur Brauerei Felsenau. Engagiertes Personal verkauft mir ein würziges „Bärner Müntschi“ mit Verwöhnaroma. Gleich nebenan optimiert die BKW aus Wasserkraft Bio-öko-Strom. 

 

Das sei keine Kolumne, höre ich, sondern Product Placement, neudeutsch für versteckte Werbung. Und ganz sicher bekommt der Verfasser ein hübsch verstecktes Sümmchen.

 

Ist nix. Kein Geld fliesst. Die Mitglieder der Arena-Redaktion und des Leistvorstands arbeiten unentgeltlich, ehrenamtlich, gratis. Nun ja, ebenso wichtig ist doch die Anerkennung. Sie ist der Lohn des Freiwilligen. Lohn bedeutet, dass man was bekommt. Und wie das so ist, lässt sich alles, fast alles, was man erhält in Geld ummünzen. Auch Anerkennung. Hier die Umrechnung, Stand Mai 2019: Ein aufmunterndes Mail ist 100 Franken wert, ein lobender Brief 120 Franken, einmal Schulterklopfen ergibt 70 Franken, ein begeisterter Zuruf 80 Franken, ein herzhafter Händedruck gilt 65 Franken, ein teilnehmender Blick 30 Franken.

 

All dies zusammengezählt müsste doch für die Ehrenamter sicher ein hübsches Sümmchen ergeben. Nun denn: Aufaddiert habe ich, nicht 200, nicht 100, nicht 50 Franken erhalten. Sondern ... nun ja, nicht gerade nichts, aber halt eben doch ein wenig zuwenig.   PETER STEIGER

 

Ein paar Stunden nachdem ich diese  Kolumne geschrieben habe, spricht mich an der Reichenbachstrasse ein Velofahrer an. „Super, was du in der ‚Arena’geschrieben und wie du es geschrieben hast“, sagt er. Wie viel ist das in der Anerkennungs-Umrechnung wert? Viel ist es wert, unbezahlbar viel. Jetzt ist die Welt wieder in Ordnung.