Berner Zeitung, 23. Oktober 2018

Wunder und Wunden der Liebe


«Macht Liebe» nennen Diego Valsecchi und Pascal Nater ihr neues Werk. Ihr viertes Kabarettprogramm in der Cappella macht Freude.

 

Sagen wirs gleich am Anfang, dann können wirs abhaken: Es ist zu lang. Zweimal 52 Minuten, mit der Pause zweieinhalb Stunden, das lässt die Aufmerksamkeit erlahmen, zumal der zweite Teil auch ein paar pädagogische Sequenzen hat. So, fertig gemotzt. Denn alles in allem: Diego Valsecchis und Pascal Naters «Macht Liebe» macht Spass und ist Unterhaltung mit Tiefgang.

 

In der Cappella präsentierten die beiden am Freitag und Samstag die Premiere ihres vierten musikalischen Kabarettprogramms. Der Winterthurer Musiker Pascal Nater und der Walliser Schauspieler Diego Valsecchi arbeiten seit Jahren zusammen. Valsecchi kennt man in Bern als früheres Ensemblemitglied und als Gast des Stadttheaters. Diesen September etwa war er im Musical «Love Life» dabei.


Beeindruckende Mundart


«Macht Liebe», das hat eine schöne Mehrfachbedeutung. Wer Liebe macht, hat – oder erleidet – Macht. Dem Duo gelingt es vortrefflich, die Wunder und Wunden der Liebe darzustellen. Die beiden Profis, der Musiker und der Schauspieler, harmonieren derart virtuos, dass man sich wollüstig freut. Pascal Nater, Glatze, hat den mutzen Part, ist trockener, kürzer angebunden. Diego Valsecchi holt und teilt aus und beeindruckt mit Walliser Mundart, mal in der Lightfassung, mal in der Obergommer Ultraversion.


Als hübsche Erweiterung spielen sie aus dem Off Kommentare ein. Ein Coach ermahnt bei Streit – das ergibt überraschende Richtungswechsel. Historische Radioaufnahmen zur Gleichstellung weisen in die Vergangenheit. Die Politologin Regula Stämpfli kommentiert per Lautsprecher. Das Duo meidet aber den gängigen Politkabarett-Mainstream. Das Programm ist bis auf eine homöopathische Dosis blocherfrei und mit viel Selbstironie ausgestattet. Transe mit Kampf-Schminke


Valsecchi macht die Sina, den Heino, den Michael Jackson, den Vico Torriani und noch ein paar Weitere. Das sind parodistische Delikatessen. Die beiden öffnen die Dämme zur Rentnerschwemme. Das ist ebenso lustig, schmeckt aber bitterer. Wir freuten uns zwar, dass wir immer älter werden, expliziert das Duo. Doch ärgern wir uns, dass wir die Alten durchfüttern müssen. Die Kranken-, nein besser Sterbekasse Mortesana schafft Abhilfe: Prämienbonus für ungezügeltes Fressen und Saufen, Malus für Sport. Mit dem bodenlangen Dunkelblauen und Kampfschminke gibt Valsecchi die Cabaret-Transe. Es gelingt ihm/ihr, mit nostalgischem Glamour die Herzen zu berühren, nur betonharte Zuschauer lachen.


Ein schlauer Mix: Politik, Parodie und auch mal sinnfreies Papperlapapp. Und Predigt: Kabarett sei wie eine Sonntagspredigt, erklären die beiden. Verlasse man die Kirche, hier die Cappella, verfliege die Wirkung. Nun ja: Viele Kirchenleute agieren zwar mit Schwung und Witz. Dass sie Valsecchi und Nater das Weihwasser abgraben, ist allerdings nur schwer vorstellbar.