Zeitschrift "Wir Grosseltern", März 2018,

 

Windeln wechseln verbindet, Eltern-Hickhack trennt

Patchwork bedeutet mehr Grosseltern, mehr Möglichkeiten - und mehr Probleme. Vor allem für Stief-Grossväter gilt: Wenn sie die Enkel früh kennenlernen, steigen die Chancen für eine gute Beziehung. Wenn die Eltern sich im Streit trennen, erhöhen sich die Hürden.

In vielen Märchen sind Stiefmütter wichtig – und böse. Stiefväter  oder  gar -grossväter kommen nicht vor. Anders in der Realität: Immer mehr Enkel und Enkelinnen haben Patchwork-Grosseltern. Das geht meistens gut. Hindernisse türmen sich am ehesten bei Stiefgrossvätern auf. Wir sprachen mit vier Männern und lernten fürsorgliche Mitverantwortliche,  distanzierte Begleiter aber auch einen  Verweigerer kennen.

Daniel Baumgartner aus Berikon AG darf man als engagierten Patchwork-Grossvater bezeichnen. Der 62-Jährige hat 8 Enkel, 3 Mädchen, 5 Buben. Sie sind zwischen 1- und 16-jährig und stammen aus 3 Familien. In einem Fall haben sich Vater und Mutter getrennt und leben nun in neuen Partnerschaften. Daniel Baumgartner und seine Ehefrau betreuen die Kinder in Abständen von einer bis zwei Wochen. „Ich glaube nicht, dass die Patchwork-Situation unser Verhalten verändert“, erklärt Baumgartner. Dazu beigetragen habe, dass er die Enkel von Geburt an mitbetreute.

ER VERPASSTE DIE BABY-PHASE

Windeln wechseln verbindet. Das hat Daniel Baumgartner erlebt. Der Soziologe und Altersforscher François Höpflinger bestätigt das: „Die Chancen für ein gutes Gelingen steigen, wenn die Verbindung bereits mit der Geburt beginnt.“ Oft sind die Kinder allerdings schon älter, wenn das neue Set entsteht. „Die Grosseltern verpassen damit die für alle Betroffenen wichtige Baby- und Kleinkindphase“, so Höpflinger.

Hans Wälti aus Bern ist ein Beispiel dafür. Er hat seine Stiefenkelin Sandra erst  kennengelernt als sie bereits 10 war. Vor drei Jahren war das, als Wältis Sohn der neue Lebenspartner von Sandras Mutter wurde. „Ich bin vorsichtig eingestiegen“, erinnert sich der 50-Jährige. Behutsam startete er, weil die Trennung von Sandras Eltern ziemlich heftig verlief und die Grosseltern mütterlicherseits Sandras Vater nie ganz akzeptiert hatten. Unterdessen ist eine zwar herzliche, aber zeitlich nicht sehr intensive Verbindung entstanden. „Wir sehen uns etwa einmal im Monat, essen, besuchen Veranstaltungen oder gehen einkaufen.“

ER VERMITTELT BEI PUPERTÄTS-PROBLEMEN

Shopping: Damit steht auch das  P-Wort im Raum, Pubertät. Wälti lacht: „Die 13-Jährige pubertiert in erträglichem Mass.“ Weil er als Späteinsteiger nicht mit Haut und Haar in Sandras Familienmix drinstecke, könne er bei Problemen auch mal vermitteln. „Ich bin ein Freelance-Grossvater.“ Enkelin Sandra stimmt zu: Housi, berndeutsch für Hans, sei ihr gegenüber weniger kritisch als der Grossvater mütterlicherseits.

Der Knatsch bei der Trennung von Sandras Eltern belastete Wältis Start. Auch dies ist gemäss Höpflinger häufig so. „Die Spannungen der mittleren Generation übertragen sich auf die Grosseltern-Enkel-Beziehung.“ In der Schweiz zerbrechen zwei von fünf Ehen. Wenn später neue Partnerschaften entstehen, vergrössert sich die Verwandtschaft. Zusammen mit unseren tiefen Geburtenraten bewirkt dies, dass es in der Schweiz mehr Gross- und Stiefgrosseltern gibt als Enkelkinder, die jünger sind als 12.

In der Familie von Rolf Käppeli gibt es keinen solchen Überhang. Der frühere Kolumnist dieser Zeitschrift lebt in Uetikon am See und  hat vier Patchwork-Enkel zwischen einem halben Jahr und zehn Jahren. Sie leben in zwei Familien. Die beiden Väter lernte Käppeli als sieben und zehn Jahre alte Kinder kennen als er mit seiner jetzigen Lebenspartnerin zusammenzog.

ER VERMISST DIE BLUTSVERWANDSCHAFT

Erfahrungen mit Babys hat er darum erst durch seine Patchwork-Enkel erworben. „Ja, die Blutsverwandschaft spielt eine Rolle,“ sagt der 74-Jährige. Als zugewandter Grossvater spüre er statt einer biologischen eine eher  soziale Verbindung. Käppeli hat mit seiner Kolumne „Briefe an Louisa“ sein inniges Verhältnis zu seiner Enkelin beschrieben. Trotzdem räumt er ein, dass er für das Mädchen vermutlich nicht die gleiche Verantwortung spüre, wie wenn er ihr leiblicher Grossvater wäre.

Diese Vermutung bestätigt Höpflinger: „Genetische Verbindungen vergrössern die Verpflichtung.“ Wie sehr die Gene unser Verhalten bestimmen, bleibt ein vieldiskutiertes Problem. Höpflinger ergänzt dies mit einer weiteren Unschärfe: „Das Dynastische, der Fortbestand der Familie, spielt gegen aussen heute kaum mehr eine Rolle, ist aber insgeheim bei vielen dennoch wichtig.“

ER VERWEIGERT SICH DEM OPA-ZWANG

Schon klar: Wenn sich zwei Grossväter mit ihren Enkeln auf dem Spielplatz treffen, wird der eine wohl kaum offenbaren, dass er hier beim Sandkasten sitzt, um den Fortbestand der Familie zu sichern. Und der andere wird verschweigen, dass er eigentlich nur widerwillig Nasen putzt und quengelnde Kinder betreut. Den liebevollen Grossvater spielen manche, weil dies dem guten Ruf dient. „Enkel zu betreuen ist ein Stück weit eine Verpflichtung“, weiss  Höpflinger. „In südlichen Ländern ist sie stärker, besteht aber auch bei uns.“ Wer sich dem vermeintlichen Opa- und Oma-Zwang entzieht, muss mit scheelen Blicken rechnen. Immerhin hält François Höpflinger eine Erkenntnis bereit, die je nach Standpunkt als gute oder schlechte Nachricht zu werten ist: „Immer mehr Grosseltern hinterfragen die Verpflichtung, sich den Enkeln zu widmen.“

Womit wir bei jenem Mann sind, der sich der Grossvaterrolle soweit wie möglich entzieht. 71-Jährig, nicht biologischer Grossvater von zwei Stiefenkelkindern und Autor dieses Artikels. Ich gebe unumwunden zu: Ich mag Kinder eigentlich nur aus der Ferne. Weil ich weiss, dass ich mit dieser Haltung anecke, greife ich gerne zu Ausreden, wenn es darum geht, sich den zwei Stiefenkeln zu widmen. Der Opa mit dem Kinderwagen geniesst einen Sympathie-Bonus. Wer sich diesen Aufgaben widersetzt, gilt als unsozial.

Immerhin scheine ich mit dieser Einstellung  doch nicht so ganz allein und verfemt zu sein. Höpflinger bestätigt, dass längst nicht alle Grosseltern begeistert Enkel betreuen. Gegen den Dienst auf dem Spielplatz wehren sich vor allem Männer. Insgeheim schmunzelnd habe ich aber auch einer Kollegin zugehört. Die Grossmutter: „Vor allem kleine Kinder gehen mir meist auf den Geist." Und ganz wenig zweifle ich an den Aussagen meiner drei Gesprächspartner. Alle habe ich gefragt, ob ihnen die Stiefenkel denn nicht auch mal lästig würden. Alle haben mehr oder weniger abgewunken. Dabei weiss ich aus eigener Erfahrung als Stiefvater, wie nervig trotzende kleine und pupertierende grössere Kinder sein können.