Quartierzeitschrift "Arena", Juni 2018, Kolumne "Die enge Halbinsel"

Jedem Tierchen sein Quartierchen

Vor dem Maxi-Laden in der Aaregg erklären sich ein paar alte Männer bei ein paar Bieren gegenseitig die Welt. Als ich bei Frau Amela Jujic ein Postpäckli und zwei Joghurt holen will, begrüsst mich einer: „Aha, da kommt ein Reicher vom Rossfeld.“ Recht hat er: Ich wohne im Rossfeld. Unrecht hat er: Ich bin nicht reich. Und drittens weist er damit darauf hin, dass wir auf der Engehalbinsel Quartiere mit  kompakter Bevölkerungsstruktur haben.

Ja, klar, im Rossfeld hat man auch schon mal SUVs gesehen, Hausfrauenpanzer. Aber sonst fahren die hier wohnenden Staatsangestellten, Sozialarbeiterinnen und Lehrer Velos. Hinter dem Berg, in der Felsenau, lebten die Menschen nicht nur sonnabgewendet, sondern früher auch auf der Schattseite des Daseins. Hier hatte die einstige Spinnerei für ihre Büezer  Häuschen gebaut. Die Deindustrialisierung vertrieb die Fabrikler.

Heute leben in den Arbeitersiedlungen Privilegierte statt Proleten: Die alternativ angehauchten Nutzer schätzen den sozialromantischen Touch und die günstigen Wohnkosten. Hübsch ist auch, dass ähnliche Schichten sowohl in den ältesten, wie den nahen neueren Bauten hausen. Eine gut gebildete Szene parkiert ihre Velos (Autos sind igitt) sowohl vor den  Spinnerei-Häusern wie auch vor den in den Neunzigern entstandenen Genossenschaftsbauten der Via Felsenau.

Frühe Swissness strahlen die Chalet-Gruppen aus, in der Aaregg und zwischen der Reichenbach- und Tiefenaustrasse etwa. Sie entstanden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und entsprechen dem Landi-Geist. Die Landesausstellung 1939 vermittelte unter anderem einen Blut-und-Boden-Mythos, der sich auch in der Architektur widerspiegelte. So entstanden den alpenländischen Bauernhäusern nachempfundene Bauten auch dort, wo weit und breit keine Edelweiss und Sennenchutteli zu sehen waren.

In dieses Symbol hevetischer Behäbigkeit ist unterdessen auch der Gegenpart eingezogen. Im Riegelbau bei der RBS-Station Tiefenau haust eine  Besetzergruppe. Kitsch verändert sich zwar, überdauert als Dekorationsmodus aber die Zeiten. Früher waren die städtischen Chalets mit einem reichverzierten Läubeli und üppig geschmückten Fensterläden geschmückt. Heute garnieren die Wohnraum-Anarchisten ihr Heim mit den gängigen Transpis und dem szenenüblichen Müll.

Wie nennen wir das Quartier zwischen Rossfeld-Schulhaus und dem Reichenbachwald? Das Schul- und Wohnheim Rossfeld ist hier, im Bau ist ein barrierefreier Wohnbau. Gleich daneben liegt das Asylheim. Sind ein Behinderten-Cluster und ein Migrations-Kompetenzzentrum entstanden? Das ist schwurbeliges Behördendeutsch. Hauptsache, es fühlen sich in diesem wie auch in unseren anderen Quartieren Leute abseits der gängigen Trampelpfade wohl.