Berner Zeitung, 27.7.11


Aus Steiger
Geprüfter Senior, Klasse A

Neulich beim Coop: Die alte Frau legt den ersten Pfirsich wieder zurück. Dann betastet sie den zweiten. Negativ. Schliesslich riecht sie am dritten. Nein, sie leckt ihn nicht ab. Ja, sie hat einen Nasentropfen.

Klar, auch Jüngere betatschen. Aber Grapschereien an wehrlosen Objekten sind vor allem eine Leidenschaft der Alten, der Männer wie der Frauen. Es gibt noch andere seniorenspezifische Misshandlungen. Im Zug fünf Minuten vor der Ankunft an der Tür stehen, niemanden durchlassen und dann langsam, gaaanz langsam aussteigen. Oder am Fussgängerstreifen Autos durchwinken. Oder mit zu kurzen Hosenbeinen durch die Strassen laufen (Männer). Oder diese gemusterten Hier-sieht-man-den-Schmutz-jahrelang-nicht-Jacken tragen (Frauen).

Leider sind die Problemrentner nicht immer so leicht zu erkennen. Darum müsste es Abzeichen für geprüfte Senioren geben. Nachdem ich in der Rekrutenschule mal gut geschossen hatte, durfte ich früher in den Ausgang und bekam eine Medaille. Eine solche Seniorenanstecknadel stelle ich mir vor, in Gold, Silber oder Bronze mit Zertifikat A, B und C.

Wer das Einstiegsbillett C besitzt, hat sich verpflichtet, nie länger als drei Minuten von seinen Krankheiten, der Karriere des Sohns und den Erfolgen seiner Enkel zu erzählen.

Fortgeschrittene, Zertifikat B, tragen ausser beim Sport keine Sportkleider, nie, nirgends. Nein, auch keinen Trainer zum Zmorge. Die Frauen in dieser Challenge League verzichten darauf, ihre Dauerwellen mit Plastikhübli vor dem Regen zu schützen.

Die Senioren der Klasse A schliesslich weigern sich, auch wenn sie 100 Jahre alt werden, am Wunschkonzert von Beromünster, äh DRS 1, «den letzten Postillion vom Gotthard» zu hören.

Neulich in der Migros: Der alte Mann probiert Finken, Pantoffeln. Es hat fünf Sorten. Er schlüpft in alle fünf. Aus unerfindlichen Gründen zieht er die Socken aus. Es stinkt.