Berner Zeitung; 7.9.2011

Aus Steiger
Die Waage, der Wecker und andere Plagen

Hey Alter, geits guet?», rief der 15-Jährige, als ich ziemlich verschwitzt an ihm vorbei den Stutz hinaufradelte. Na so was. Ich hatte ja das schicke Rennrad dabei, trug den neuen Helm und dachte, dass ich heute besonders fit und sportlich daherkam. Aber es ging dem Giel ja wohl nicht um mein Wohlergehen, sondern darum, den Kameraden zu zeigen, was für ein respektloser Siech er sei.


«Hey Peter, geits guet», fragte mich kürzlich ein Bekannter, «du bist jetzt doch pensioniert.» Ich sagte das Übliche, die Standardsätze: «Ja, danke, viel zu tun, mehr als vorher, keine Zeit, tschüss.»


Über die Geits-guet-Fragen dachte ich später doch noch intensiver nach. Und kam zu einer AAA-Antwort, na ja, AA+: Ja, es geht gut, ziemlich gut. Bisher habe ich in dieser Kolumne vor allem über die Widerwärtigkeiten des Alters berichtet, über AHV-Bescheide, Rollatorennamen, schöne Frauen, die einem im Bus einen Sitzplatz anbieten, oder Giesskannenrabatte für reiche Senioren.


Aber es gibt sie, die Freuden des Alters. Nämlich die Freiheit. Ein so grosses Wort muss man in handliche fassbare Brocken unterteilen. Also: Ich habe mir die Freiheit genommen, den Wecker abzustellen. Der schrillte einst terrormässig früh, weil ich nur so glaubte, eine Chance zu haben, die Arbeit abzuackern. Jetzt: Na, was solls. Liegen bleiben (im Bett) und auf dem Pult (die Arbeit) sind lässliche Sünden.


Ich hab mir die Freiheit genommen, die Personenwaage in den hintersten Winkel zu versorgen. Früher starrte ich drauf, wie die Schweizer Wirtschaft auf den Frankenkurs. Wenn die Zahlen stiegen, kam die Panik. Jetzt: Na, was solls. Ein Pfündchen da, ein Pfündchen dort sind lässliche Sünden.


«Hey Giel, ja, es geht gut», hätte ich deshalb dem aktiv pubertierenden Jüngling zurückrufen können. Aber so abgeklärt und weise war ich denn auch wieder nicht. Lieber hätte ich ihm ä Schutt i ds Füdle verpasst.