Berner Zeitung, 26. Juni 2017

 

Wenn das Alter anklopft: Aufmachen, sofort

 

Alt werden ist ja so was von toll. Wirklich. Wenn das Alter vor der Tür steht: Aufmachen, sofort, sonst geht es vorbei, und man sieht es nie wieder. 

 

Als Beweis eine Geschichte. Ich gehe regelmässig in die Fitness. Dort stähle ich die Muskeln, die Armmuskeln, die Beinmuskeln, die Rückenmuskeln. Ich stähle überall, sodass ich bald nur noch aus Stahl bestehe. Das ist gefährlich. Es rostet. In den Sport gehe ich auch, wenn ich länger im Ausland bin. Namen und Ort will ich keine nennen. Aber es war eine österreichische Hauptstadt, die mit W beginnt und mit N endet, in der ich ein solches Etablissement aufsuchte. Als ich mit meiner Leibesertüchtigung fertig war, traf ich in der Garderobe einen sehr muskulösen Mann mit sehr grossen Tätowierungen, einem sehr grossen Kopfhörer und einer sehr kahlen Glatze. 

Ich grüsste artig, bekam aber keine Antwort.

 

Da erfüllte mich helvetischer Zorn auf diesen unhöflichen Neo-Habsburger, und ich sagte jenes Wort, bei dem man in gepflegten Publikationen Pünktchen zwischen dem A und dem H setzt. Ich sagte dies mit altschweizerischem Heldenmut, aber auch mit gutschweizerischer Vorsicht, weil ich annahm, dass die Beschallung mittels Kopfhörer durch einschlägige Musikkapellen meine Bemerkung übertönen würde. Dass dies nicht so war, merkte ich, als der Muskelmann sein Trommelfellmonster abnahm und mir kundtat, was er von meiner Bemerkung hielt. Nämlich, dass sie der Grund für eine Tracht Prügel sei. Mit Tracht meinte er nicht die landesübliche Verkleidung mit Dirndl und Jankerl, sondern, ja eben. 

 

Da erfüllte mich gar grosse Angst. Ich ahnte, dass ich dem tätowierten Glatzenprotz mit meinen rostenden Stahlmuskeln nicht gewachsen war. Ich versuchte mit beschwichtigenden Gesten seine Wut zu dämpfen. Er war vorerst nicht zu bremsen, hielt dann aber inne und sagte: «Ich ehre das Alter. Nur weil du schon so alt bist, verprügle ich dich nicht.» Uff, gerettet, dachte ich und freute mich, dass mir meine vielen Lebensjahre einen zwar ruhmlosen, aber schmerzfreien Abgang verschafften.