Berner Zeitung, 7.04.2014
Ja, Lebensmüde sollen sterben dürfen
Albert Zingg (Name geändert) ist 91. Er hört und sieht kaum mehr was. Er hat Schmerzen. Ist inkontinent. Dagegen gibt es zwar viele Hilfsmittel, aber, na ja. Vor zwei Jahren starb seine
Frau.
65 Jahre waren sie zusammen. Jetzt ist er allein. Albert Zingg möchte sterben: «Ich habe genug erlebt. Ich bin müde.»
Exit will, dass Menschen wie Albert Zingg Sterbehilfe beanspruchen können, auch wenn sie nicht todkrank sind. Die Organisation wird am 24. Mai an der Generalversammlung darüber entscheiden. Eine
Umfrage hat gezeigt, dass die meisten Mitglieder dies unterstützen. Das Ja an der GV bedeutet nicht, dass Exit solche Freitodbegleitungen anbietet, sondern bloss, dass sich der Verein für solche
neuen Regeln einsetzt.
Ich habe mich bei der Umfrage für diese Liberalisierung entschieden. Weil ich möchte, dass lebensmüde Hochbetagte frei entscheiden können, ob und wann sie sterben wollen. Der Altersfreitod oder Bilanzsuizid ist ein Menschenrecht. Das Leben gehört mir, das Sterben ebenso. Ich kann die Verantwortung nicht an einen Arzt oder Psychiater delegieren. Die verstehen vom Sterben ebenso wenig wie ich, nämlich nichts.
Der Tod ist für alle die grosse Unbekannte. Gläubige argumentieren, dass Gott ihnen das Leben geschenkt hat. Und dass nur er es wieder nehmen darf. So unklar ist, was er, Gott, denn eigentlich will – die Bibel verbietet Selbsttötung nicht ausdrücklich. Im Gegensatz zur Selbstbefriedigung. Aber das ist ein anderes Kapitel.
Es geht nicht darum, Menschen in den Tod zu begleiten, die zwäg sind und aus einer Verstimmung heraus – oder weil sie depressiv sind – sterben möchten. Doch wer eine Vielzahl von Gebrechen hat,
die zwar nicht direkt zum Tod führen, aber das Leben zur Qual werden lassen, soll diese Qual beenden können. Sterbebegleitung ermöglicht, dass dies in Würde geschieht. Lebensmüde springen von
Brücken, werfen sich vor den Zug oder versuchen, sich mit Medikamenten zu vergiften. Allzu oft scheitern sie mit schlimmen Konsequenzen für sich selber und für die Beteiligten. Der Mensch ist ein
freies Wesen. Niemand darf mir die Verantwortung über den wichtigsten Entscheid abnehmen, meinen Tod.