seniorweb.ch, 17. Juli 2021

 

Der Feind mitten unter uns: der Herd, die Dusche, der TV

 

Moderne Technik verschönert das Leben? Ach was. Viele neue Entwicklungen lassen uns verzweifeln. Zum Beispiel der neue Kochherd (Bild). Früher schraubte man am Familien-Opel einfach den Tankdeckel auf. Heute erfordert das Mobility-Auto fürs Gleiche Detektiv-Büez.

 

Müssen wir wirklich verzweifeln? Immerhin glüht am Schluss des Artikels ein Hoffnungsschimmer. Doch vorher wollen wir ordentlich lästern.

 

Der Herd – das Geheimnis der Keramikplatte. Was war doch früher ein Kochherd ein fröhliches Gerät. Ob Gas oder Elektrisch: Schalter drehen, Pfanne drauf. Wenns blubberte, nahm man das Ding von der Platte. Fertig. Und heute? Kindersicherung, Timer, Fernbedienung, Topferkennung, Power plus und Power minus.

Schöne alte Schwarzweiss-Zeit. Heute sehen wir beim Keramikherd rot.

 

Und jetzt learning by doing, will heissen Betriebsanleitung: „Ist bei mehreren Kochzonen die Einschaltdauer eingestellt, leuchtet die kürzeste Einschaltdauer in der Anzeige. Solange keine Kochzone angewählt ist, leuchtet der Leuchtpunkt der Kochzonenzuordnung für jede Kochzone mit eingestellter Einschaltdauer. Um eine andere Einschaltdauer anzuzeigen: Taste der gewünschten Kochzone antippen.“ Und fertig ist der Lindenblütentee.

 

Das Mietauto – das Phantom auf vier Rädern. Erfreuen wir uns zuerst an dem, was gleich geblieben ist: das Steuerrad, das Bremspedal, die Kupplung. Fertig Freude. In einem modernen Auto ist alles anders, bei jedem Modell verschieden und stets elektronischer. Und damit immer unverständlicher. In einem Mietauto den Tankdeckel öffnen: Detektivbüez. In einem Mobility-Fahrzeug Radio hören: Nervenprobe. Den Seitenspiegel verstellen: Intelligenztest. Hört, was der moderne Märchenkönig sagt: „Wer diese drei Prüfungen besteht, bekommt die schöne Prinzessin als Frau. Den Drachen töten, den Frosch küssen, mit meinem neuen Auto fahren. Die altgewordene Prinzessin blickt traurig vom Turm. Bei Aufgabe drei scheiterten alle.

 

Die Dusche – das Rätsel der Brause. Die lange Fahrt im stickigen Zug. Der Fussmarsch samt Gepäck in der Mittagshitze zum Hotel. Raus aus den Kleidern, rein in die Dusche. Doch dann: Drücken, ziehen, nach links, nach rechts, nach unten. Kein Wasser. Aber hoppla: Die kleine Einbuchtung oben bringts, nämlich kaltes Wasser. Wir Warmduscher erleben Schrecksekunden. Wohlige Wärme? Drücken, ziehen...? Moderne Installationen sind schön, ein Traum für Design-Gourmets. Bloss ein einfacher Tubus, Alu gebürstet. Moderne Gestalter scheuen Hahnen, Drehknöpfe und Hebel wie  der Teufel das Weihwasser. Schliesslich hat selbiges ja auch keine Mischbatterie.

 

Der Lift – die Klagemauer im Spital. Im Berner Inselspital gleich neben dem grossen Eingangsbereich wartet eine Batterie von Liften auf Aufsteiger. Hier kann ich aussen  wählen, welches der 18 Stockwerke ich erreichen will. Dann leuchtet  auf, welcher der sechs Lifte mich am schnellsten dorthin bringen wird. Die computergestützte Lösung tönt recht einfach, widerspricht aber unseren Gewohnheiten – nämlich jenen Aufzug zu nehmen, dessen Tür sich zuerst öffnet. Oft bilden sich drum Ad-hoc-Diskussionsgemeinschaften, die mehrsprachig parlieren, was nun zu tun sei.

 

Der Fernseher – das Mysterium des Wifi-Miracasts. So, liebe Kinder, jetzt erzählt der Grosspapa, wie das früher mit dem Fernsehen war. Flimmerkiste, sagte man dem Holzding mit dem grün-grauen Glas vorne. Dort sah man im Schweizer das Heidi Abel, die hatte es mit den Tieren. Auf den zwei Deutschen hörte man Rudi Carell singen und Peter Frankenfeld präsentierte Spiele.

So fings an: Flimmerkiste in gediegener Holzverpackung. So beginnt heute ein Problem: Plasma-TV in unheilverkündender Kartonschachtel. Bilder: Wikimedia

 

Um vom einen Sender zum anderen zu wechseln, drückte man auf einen grossen Kopf. Ausserdem gabs noch den einen oder anderen Schalter. Fini-fertig. Und jetzt: HDMI oder ESB oder WPS mit PIN-Code? Ich ärgere mich über hunderterlei Verbindungen, ich könnte auf den UHD-Processor verzichten. Ich fluche über Wifi-Miracast. Ach, wie wars doch kommunikativ, früher zuhause, wenn der Apparat schneestöberte.  Der Vater: „Zimmerantenne drehen.“ Die Mutter: „Zimmerantenne aufs Fensterbrett.“ Die Schwester: „Ich will jetzt endlich den Roy Black sehen.“ Und mittendrin war man im gemütlichen Familienstreit.

 

Der Einkauf – das Labyrinth des Schreckens. Die Computer-Tücken lassen wir mal beiseite. Darüber ist schon viel geschrieben und geklagt worden. Aber die kleinen Miesmacher verdienen es, in den Regen gestellt zu werden. Früher gab es drei Sorten Leim; heute verzweifle ich beim Heimwerkerzentrum vor gefühlten 50 Klebstoffen. Früher musste man kaputte Glühbirnen ersetzen; heute gilt es auszuwählen zwischen Halogen, LED, Energiesparlampen, Entladungslampen und, und, und. Galaxus listet 2730 Leuchtmittel auf.

 

Die Hoffnung – das Glimmen am Ende des Tunnels. So, genug gelästert. Es gib bei allen Widerwärtigkeiten doch auch über Gutes zu berichten. Das Navi entschärft den Streit mit dem Beifahrer. Dank den Apps für Fahrplan und Ticket kann ich einsteigen, ohne zu wissen, wo ich um- oder aussteigen soll. Die minutengenaue Wettervoraussage bringt den Regenschirm um seinen ungeliebten Job.