Trickfilmfiguren können mehr: fliegen oder durch Mauern sehen. Claude Halter (72) hat sein Berufsleben damit verbracht, diesen Figuren eine
Geschichte zu geben. Ein Höhepunkt des Berner Comic-Zeichners und Karikaturisten war ein Lehrauftrag an einer Uni in China.
* 卡通片 bedeutet Trickfilm auf Mandarin.
Manche Kinder wollen Astronautinnen, Fussballstars oder Polizistinnen werden. Claude Halter, 1953 in Genf geboren, hatte andere Vorstellungen. „In
den Fünfzigern konnte ich als Vier- oder Fünfjähriger mit meinem Götti zum ersten Mal einen Film im Kino anschauen. Zu dieser Zeit gab es im
Quartier noch kein TV-Gerät. Als ich zurückkam, fragte mich die ganze Familie nach dem Film. Diesen erwähnte ich mit keinem Wort, aber ein kurzer
Werbefilm begeisterte mich. Die beiden Disneyfiguren Ahörnchen und Behörnchen ballerten mit einer Kanone Haselnüsse in Schweizer Schokolade. Ich
schwärmte für den einminütigen Zeichentrickfilm derart, dass ich stundenlang darüber sprach.“
Die Ausbildung: Glasmaler, Studium in Paris
Aus dem Knirps wurde ein junger Mann. Claude Halter lernte Glasmaler. Das ist ein Lehrberuf mit dreieinhalbjähriger Ausbildung mit Praxis im
Atelier, ergänzt durch die Kunstgewerbeschule. Anschliessend besuchte er in Paris die Trickfilmschule Les Gobelins, die durch René
Goscinny gegründet wurde. Der Schöpfer von Asterix und Obelix, leitete damals das Comic-Magazin Pilot, das viele Zeichner und Autoren
hervorbrachte. Nach der Ausbildung in Paris kehrte Halter nach Bern zurück. 1985 machte er sich selbständig.
Die Trickfilme: Kuhballet und Luftakrobatik
Zum Teil zusammen mit Partnern realisierte er Trickfilme. Seine erste Arbeit war ein Werbetrickfilm für ein Mundwasser für Kinder. „Der Film
dauerte 30 Minuten. Wahrscheinlich haben ihn die wenigsten Kinder bis zum Ende gesehen.“, so Halter, unter anderem „Jean-Claude des Alpes“ und „Das
Mädchen mit dem Ventilator“ oder „Der Schneckenmensch“ .
Video-Player
.
↑ «Jean-Claude des Alpes» kam 1992 heraus und dauert rund sieben Minuten. Hier zeigen wir einen Ausschnitt. In voller Länge ist der Film auf Youtube zu sehen, allerdings in schlechter
Qualität.
↓ «Das Mädchen und der Ventilator» erschien 2006. Wir zeigen die vollständige Fassung.
.
Kulturschock: In China standen die Studis um fünf auf
Weil er in China lebte und dort mit einem chinesischen Trickfilmstudio zusammenarbeitete, bekam Claude Halter einen Lehrauftrag an einer der Universitäten von Nanking. Ein Jahr lang,
2007-2008, lehrte er die Studierenden wie man Trickfilme macht. Halter dozierte an einer der ältesten und renommiertesten Universitäten von Nanking, der DongNanDaXue. Auch später unterrichtete er
weiter von Bern aus übers Internet einen Teil seiner Studenten. Er erfuhr, dass die chinesischen Studis ungeheuer fleissig sind. Um fünf Uhr morgens müssen sie aufstehen und wurden vor dem
Frühstück abkommandiert zur einstündigen Frühgymnastik.
Halter unterrichtete in Englisch, später verbesserte er sein Chinesisch so weit, dass er die Studenten auch in ihrer Muttersprache beraten konnte. «Ich habe die Studenten als geistig
ungeheuer fit und motiviert erlebt», erinnert er sich. Die Chinesen würden den Schweizer Studi-Durchschnitt grösstenteils hinter sich lassen, weil sie aus 350 Millionen die besten selektionieren
können. Entsprechend erfreulich falle auch das Ergebnis aus. «Meine Studenten realisierten bereits während der Ausbildung ausgezeichnete Trickfilme», lobt er.
Die topmodern eingerichtete Mega-Uni von Nanking hat 120 Gebäude und galt zu dieser Zeit als die beste von 49 Universitäten. Der neue Teil, in dem Halter unterrichtete, ist eine Bus-Stunde
vom Stadtzentrum entfernt. Die Studierenden wohnen hier in Viererzimmern und verlassen höchstens am Wochenende den Campus.
Halter verdiente monatlich 600 Franken. 150 Franken zahlte er für eine bescheidene Wohnung im Stadtzentrum. Sparen konnte er beim Essen. Eine warme Mahlzeit kostete in der Mensa 75 Rappen.
Ebenfalls ungewohnt war der Unterrichtsstil. «Chinesische Hochschullehrer halten Distanz zu ihren Studenten», sagt Halter. «Dass ich nicht bloss dozierte, sondern mit den jungen Leuten
zusammenarbeitete, hat nicht allen gefallen.» Die Leitung will genau wissen, was in den Hörsälen geschieht. «Andererseits genoss ich eine erstaunliche Meinungsfreiheit», so Halter. «Ich konnte
mich auch ziemlich frei äussern.»
Karikaturen und Comics im «Samariter» und in der Automobilrevue
Neben Trickfilmen zeichnete Claude Halter Cartoons. Für den „Samariter“, die Zeitung des Schweizerischen Samariterbunds, erarbeitete er Cartoons, mit denen er die Tätigkeit der
Ersthelferinnen und -helfer glossierte. «Die Zeichnungen in diesem eher ernsten Umfeld kamen nicht immer gut an“, erinnert er sich.
Von 2000 bis 2016 illustrierte er für die Automobilrevue auch politische Themen. „Wenn diese innerhalb eines gewissen Spektrums liegen, habe ich keine Mühe damit“, so Halter, „Die Aussagen
müssen sich nicht mit meinen Überzeugungen decken.»
Weisse Schäfchen, aggressive Raser.
Zwischen 2000 und 2006 erschien ebenfalls in der Automobilrevue eine vielteilige Comicreihe. «Damals, in den Zeiten vor den Autos …»
Zum Vergrössern anklicken
…als zwölf Zylinder noch nicht beeindruckten.
…als Windschutzscheiben noch modische Accessoires waren.
…als man noch Parkuhren trug.
…als man sich noch über Wildwechsel freute.
…als man noch mit 100 Sachen unterwegs sein konnte.
…als die Handbremse noch schwierig zu bedienen war.
…als der Vierradantrieb noch nicht so entwickelt war.
…als man sich noch über Blechschaden freute.
…als Flugreisen noch beschwerlich waren.
Mit aktuellen Themen in den Zeitungen
Früher, als es den Medien noch gutging, hatten viele Tageszeitungen Ausgeh- und Kulturbeilagen. In Bern erschien in der Berner Zeitung als Beilage die „Berner Agenda“. Der Bund legte die „Berner
Woche“ bei. Von 1990 bis 1998 illustrierte Halter wöchentlich die „Berner Agenda“.
Ab 1983 belebte er das Bieler Tagblatt mit «Hanspeter und Jean-Pierre» und glossierte mit Karikaturen aktuelle Themen.
Regierungsbären sind schwerhörig. Probleme überdauern: Schwarzfahrer.
Finanziell mal so, mal so.
Subventionen, Auftragsfilme, Pressezeichnungen, Fernseh-Aufträge aus Deutschland und England: Das waren Halters Einnahmequellen. Drei Monate nachdem er die erste AHV-Rente erhalten hatte,
erlitt er eine Augen-Infektion und erblindete. Dank der Behandlung in der Augenklinik am Berner Inselspital kann er sich inzwischen wieder selbständig bewegen. Zeichnen aber geht nicht mehr.