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„Gut, dass es keine anderen Probleme gibt“ kommentierte kürzlich ein Seniorweb-Leser meinen Artikel übers Gendern. Er meinte dies ironisch. Tatsächlich gibt es andere Probleme, viele, grosse, grösste. Aber Hand aufs Herz: Wer begleitet uns bei unserem Tagwerk? Trump, Putin und Kim Jong-un? Schon, aber meist haben wir genug mit anderem zu tun, mit dem Alltag, Alltagsfragen, Alltagsfrust, Alltagsärger.

 Nach diesem Intro zur Sache: Es geht um Warteschlaufen beim Telefonieren. Es ist akustisches Stalking. Man nervt sich. Man entgeht ihm nicht. Man weiss nicht, wie man’s abstellt. Folter ist ein zu starkes Wort. Aber die Richtung stimmt. Trübe Regimes setzen Gefangene überlauten, immer wiederkehrenden Tönen aus, bis sie zusammenbrechen.

 Als Normalo habe ich den Eindruck, dass viele Firmen mit ihren Kunden so wenig zu tun haben wollen wie möglich. Sie haben in den letzten Jahren Abschreckungsmethoden entwickelt. Auf ihrer Website verspricht ein Kontaktbutton verheissungsvoll den Zugang zur Firma. Doch man gelangt bloss in ein unüberschaubares Gestrüpp von Unterabteilungen mit FAQs, Fragen mit Antworten, die niemanden interessieren oder die man eh schon kennt.

Telefon-Warteschleifen nerven. Das wollen die Firmen zwar nicht, aber mit ihrer Plätschermusik vertreiben sie die Kunden.

 Dabei möchte ich von der Bank bloss wissen, wie ich auf meinem Konto einen weiteren Namen eintrage. Stattdessen: Kurz wählen, lange warten, warten, warten. Dazu plätschert Musik. Endlich glimmt ein Hoffnungsfunke auf. Man hört eine Stimme. Doch statt des erwarteten menschlichen Kontakts vernehmen wir ab Konserve, dass unser Anruf sehr wichtig sei und dass sich der nächste verfügbare Mitarbeiter in Kürze melden werde. Spätestens nach zwei Sekunden ist damit die aufgeflammte Hoffnung erloschen und wir wissen, was nun bald kommt: Weitere Plätschermusik.

Was tun wir in der Warteschlaufe? Positiv Denkende stellen das Telefon auf Lautsprecher, bügeln Wäsche und ärgern sich über die eingetrudelten Rechnungen. Wer hingegen glaubt, dass sich bald jemand meldet, ärgert sich grün und blau. Wenn man den Kundenbefragungen vertraut, verbringen wir viele Tage unseres Lebens in Warteschlangen.

Warum verstopfen Firmen und Institutionen trotzdem unsere Gehörgänge? Weil sie glauben, dass ihre Warteschleifenmusik ein Mittel gegen den Frust sei. Es gibt viele Online-Buden, die diese tönenden Antidepressiva gegen den Telefonkoller zum Downladen anbieten. Die Plattformen versprechen, dass sie mit ihren Klangmixturen eine gefällige Atmosphäre schaffen. Mehr noch: Sie sind überzeugt, dass sie mit dieser „Fumu“ (Funktionsmusik) Glückshormone auslösen.

 Glückshormone vs. unterdrückte Aggressionen? Hallo, geschätzte Tonindustrie: Wir kennen niemanden, wirklich niemanden, bei dem Warteschleifenmusik Glückshomone auslöst.

Allerdings sollten wir trotzdem nicht allzu böse über die Schöpferinnen und Schöpfer von Warteschleifenmusik herfallen. Die Schleifenfachleute überlegen sich schon was. Für eine Arztpraxis vermeiden sie Hardrock oder Techno. Für ein Fitness-Studio ist Beethovens „Für Elise“ keine gute Wahl. Jetzt wird’s psychologisch. Nämlich: Wenn wir anrufen, erwarten wir einen Menschen. Ertönt stattdessen Plätschermusik, ärgern wir uns und übertragen diesen Unmut auf den akustischen Tranquilizer.

Wäre noch zu klären, warum die Firmen ihre Kundschaft nicht mit allseits bekannten und beliebten Headlinern erfreuen. Taylor Swift, das wär doch was. Das Urheberrecht verhindert, dass wir Nemo oder Adele hören. Berühmte Songs über endlose Wiederholungen abzuspielen, ist teuer.

Zum Schluss doch noch was Heiteres. Ziemlich frech, diese Telefonansage einer Urologen-Praxis im deutschen Freiburg. Nach einem üblichen Start beginnen die Ärzte zu singen