Wie erlebt eine erfahrene Schriftstellerin den Schweizer Literaturbetrieb? Sandra Rutschi (Bild) schreibt Kurzgeschichten, Kriminalromane, Sach- und Kinderbücher. Wie arbeitet sie mit Verlagen, Werberinnen, Marketingleuten und Honorarbuchhaltern zusammen?
Es gibt wenige Schweizer Literaten, die von ihren Büchern leben können. Martin Suter, Charles Lewinsky, Alex Capus, Hugo Stamm, Federica de Cesco oder Christine Brand zum Beispiel. Viel grösser ist die Schar jener, denen das Schreiben kaum was oder bloss einen finanziellen Zustupf einbringt. Zwischen den Wenigverdienern und den Gutgestellten finden sich Autorinnen und Autoren, die mit den Tantiemen, Honoraren und Leseabenden wenigstens einen Teil ihres Lebensunterhalts bestreiten.
Zu diesem Mittelbau gehört Sandra Rutschi. Sie ist 45, konnte dank ihrer Buchhonorare ihr Pensum als angestellte Journalistin reduzieren. Die Bernerin hat einen Kriminalroman geschrieben. Zwei Kinderbücher sind bereits veröffentlicht, weitere erscheinen nächstes Jahr. Von ihr stammen drei Sachbücher. Sie ist Verfasserin von ungefähr 80 Kurzgeschichten, die in mehreren Anthologien zu finden sind. Die meisten ihrer Bücher erschienen im süddeutschen Gmeiner-Verlag. Mitte März kam beim Stämpfli-Verlag «BEA — Ihre Menschen, ihre Geschichten» heraus, ein Werk das den Weg der grossen Berner Frühlingsmesse beschreibt.
Sandra Rutschis Buch «BEA — Ihre Menschen, ihre Geschichten» erzählt den Werdegang der seit 1951 bestehenden Messe.
Seniorweb: Sandra Rutschi, dank den Honoraren konnten Sie Ihr Pensum als Redaktorin einer Tageszeitung reduzieren. Was heisst das in Zahlen?
Sandra Rutschi. Ich erhalte je nach Buchprojekt bis zu 12 Prozent des Nettoverkaufspreises. Je nachdem wie die Bücher laufen, bekomme ich mehr oder weniger. In der Regel werden die Tantiemen jährlich abgerechnet.
Gutschweizerisch: Der Verdienst ist tabu.
Die Einkünfte variieren. Häufig überweist der Verlag einen Vorschuss zwischen einigen hundert und einigen tausend Franken. Ich bekomme dann in der Regel allerdings erst wieder Geld, wenn die
Honorare die Vorauszahlung übersteigen.
Wie haben Sie die Lektorin, den Lektor erlebt? Als Spassbremse, als bezahlten Nörgler?
Weder noch. Meist haben die Vorschläge den Text verbessert. Das Lektorat hat
zum Beispiel holprige Sätze geglättet oder inhaltliche Fehler ausgemerzt. Eine Figur soll nicht erst Willi und später Willy heissen, darf nicht auf Seite 27 tot sein und auf Seite 54 putzmunter
vor der Tür stehen – ausser, das ist von der Geschichte her gewollt, natürlich.
Welchen Einfluss haben Sie auf die Buchgestaltung und Werbung?
Das ist verschieden, doch bislang durfte ich immer bis zu einem gewissen Grad mitreden Der Verlag hat Erfahrung, Fachleute – und das letzte Wort. Bei Kinderbüchern redet natürlich auch die Illustratorin oder der Illustrator mit.
Immerhin beteiligen Sie sich mit Ihren Lesungen an der Werbung.
Ich lese jährlich an 10 bis 20 Anlässen unter anderem in Buchhandlungen oder Bibliotheken. Es sind
immer gute Erfahrungen Es berührt mich, wenn ich spüre, dass meine Texte beim Publikum ankommen. Ich erlebte auch schon, dass Leute vor Rührung weinten. Wenn ich aus meinen Kinderbüchern vorlese,
sind die Lesungen lebhaft, denn der Austausch mit den Kleinen ist wichtig. Das gefällt mir.
Lesungen sind eine der seltenen Möglichkeiten, Reaktionen zu Ihrer Arbeit zu erhalten. Halt, da sind noch die Buchbesprechungen.
Dass die Bücher in den Medien
besprochen werden, ist enorm wichtig. So gelangen sie noch mehr ins Bewusstsein der Leserinnen und Leser und auch der Buchhändlerinnen und Buchhändler. Ich bin immer dankbar, wenn ein Medium ein
Buch von mir bespricht – seien es die klassischen Zeitungen, das Radio, eine Online-Plattform oder Kritikerinnen und Kritiker auf Instagram, die gerade in der Kinderliteratur sehr aktiv sind.
Bis in die Neunziger lieferten Autoren maschinengeschriebene Texte, oft mit komplizierten Korrekturen. Jetzt mailt Sandra Rutschi Word-Dokumente. Damit übernimmt sie die Arbeit der Setzer und Tasterinnen. Eigentlich müssten Sie entschädigt werden.
Da ich erst seit 2009 Manuskripte an Verlage liefere, habe ich mir das noch gar nie überlegt. Ich kenne es gar nicht anders – und für mich spielt es ja keine Rolle, ob ich einen Text in der Schreibmaschine oder im Computer ins Word eintippe. Ausser, dass es mit dem Computer für mich einfacher ist, einen Text zu überarbeiten. Das Buchlayout mit dem Satz wird nach wie vor jeweils im Verlag gemacht.
Das Bernbuch mit Fotograf Andreas Blatter. Das Kinderbuch illustriert von Christoph Frei. Der Kriminalroman mit der
Jurafrage als Hintergrund.
Vom Manuskript in den Buchhandel. Und mit Sandra Rutschi an die BEA
Die Verteilung. Im Verkaufspreis enthalten sind durchschnittlich 20 Prozent für die Herstellung, 10 Prozent Auslieferung, 8 bis 10 Prozent Autorenhonorar, 5 Prozent Verlagsgewinn, 40 Prozent Buchhandelsmarge. Die Schweiz kennt keine festen Laden- oder Onlinepreise. Anders in Deutschland und Österreich. Hier legt der Verlag die Summe fest. Sie gilt für Läden und den Online-Handel.
Die Zahlen. 2023 erschienen in der Schweiz 4600 deutschsprachige Bücher. In der Schweiz liest jede zweite Person mindestens jährlich vier Bücher. Jede vierte Person liest zehn oder mehr Bücher pro Jahr. Zwei von drei Frauen lesen jährlich mindestens vier Bücher. Im Jahr 2024 lag der Preis eines Buches im Sortimentsbuchhandel in der deutschen Schweiz bei durchschnittlich 22,87 Schweizer Franken. Quelle: Schweizer Buchhandels- und Verlags-Verband SBVV.
Sandra Rutschi an der Berner Frühlingsmesse. Im März erschien ihr Buch «BEA – Ihre Menschen, ihre Geschichten». Menschen erzählen von ihren Erinnerungen an die BEA, und alte Fotos zeigen die Welt der grossen Berner Frühlingsmesse. 184 Seiten, illustriert, 34.00, Stämpfli Verlag. Die BEA findet vom 25. April bis 4. Mai statt. In der neuen Festhalle erhält das Buch einen eigenen Stand. Dort moderiert Rutschi vier Gesprächsrunden mit Personen aus ihrem Werk.