Der Senioren-Check ist simpel gestrickt. Als Möchtegern-Weiterfahrer soll ich zum Beispiel auf einem Blatt Buchstaben und Zahlen verbinden. Der Arzt (oder die Praxisassistentin) überprüfen meine Sehkraft mit jener jahrzehntealten Tabelle mit Buchstaben.

 

Die Prüferin fragt mich nach Vorerkrankungen, die sie ja eh schon kennt. Ein paar weitere Kontrollpunkte – das wars. Wir Autofahrerinnen und –fahrer müssen ab 75 alle zwei Jahre zu einer solchen Kontrolle beim Arzt oder bei der Ärztin antreten. Sie haben zwar die sogenannte Anerkennungsstufe 1, sind aber keine verkehrsmedizinischen Experten.

 

Diese medizinischen Kontrollen bringen nicht den erhofften Sicherheitsgewinn, schreibt die Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu) in einer Medienmitteilung. Zu diesem Ergebnis kommt die Beratungsstelle anhand einer von ihr in Auftrag gegebenen Studie.

 

 Keine Seniorentests im Ausland

 

Beim Hausarzt mit zugekniffenen Augen auf die Buchstaben zu gucken bringt offenbar nichts. Im „Blick“ verlangen bürgerliche Politiker nun, dass man diese Kontrollen abschafft oder die Prüfung erst ab 80 vorschreibt. Ein Vergleich mit dem Ausland stützt diese Forderung. Deutschland und Österreich kennen keine solche Tests. In diesen zwei Ländern bauen Seniorinnen und Senioren relativ etwa gleich viele schwere Unfälle wie in der Schweiz.

 

 


Oje, ich habe die Velofahrerin von rechts nicht bemerkt. Nur mit Kontrollfahrten auf der Strasse können Fachleute beurteilen, ob Senioren noch verkehrstauglich sind (Symbolbild).

 

 Die bfu selbst will die Prüfungen nicht abschaffen. Sondern abwarten. Bis vor drei Jahren mussten die Autofahrer bereits mit 70 zur ersten Kontrolle. Die Beratungsstelle will nun herausfinden, was sich seither verändert hat. Weitere Vorschläge sind unter anderem bessere Tests, Sichherheitsassistenten im Auto und Tempolimiten.

 

 Flecken auf der weissen Weste

 

Die bfu hat ja schon recht. Ihre Ideen gehen denn auch in die richtige Richtung. Überdies empfiehlt die Beratungsstelle ihren freiwilligen Fahrsicherheits-Check. Ich habe mich letztes Jahr den digitalen Fragen gestellt. Vorher war ich von meiner weissen Weste überzeugt. Jetzt hat sie ein paar unschöne Flecken.

 

 Überprüfe dich selbst. Damit sind wir bei der vielbeschworenen Selbstverantwortung. SVP-Nationalrat Benjamin Giezendanner erklärt im „Blick“, dass wir Seniorinnen und Senioren selber wissen, wann wir das Lenkrad endgültig loslassen sollen. Ach du meine Güte. So was funktioniert hinten und vorne nicht. Auch bei mir nicht.

 

 Weiter denke ich an den betagten Nachbarn. Mühsam trippelt er zum Fahrzeug. Dort hangelt er sich an der Dachreling zur Fahrertür, lässt sich leise stöhnend auf den Sitz fallen. „Wenn ich mal drin bin, geht es gut“, sagt er. Und vergisst, dass er vor ein paar Wochen einen Gartenzaun umgefahren hat.

 

Selbstverantwortung? Schön wärs

 

Statistiken beweisens: Wir Senioren bauen überdurchschnittlich viele Autounfälle. Jetzt höre ich, wie die entrüsteten Lenkradklammerer gegensteuern: „Aber die Jungen“, argumentieren sie, „die Raser und die Bolidenpiloten“. Schon. Doch eine Gefahr wird halt nicht kleiner, wenn man auf andere Vehrkehrssünder zeigt.

 

 Nächste Woche muss ich mit dem Auto zur Fahrzeugkontrolle. Wenn man den Selbstverantwortungs-Aposteln glaubt, wäre diese Prüfung eigentlich unnötig. Aber selbst die gläubigsten Verfechter wissen, dass das nicht funktionieren würde. Wenn wir wirklich weniger Unfälle wollen, müssen Experten nicht nur die Fahrzeugbremsen kontrollieren. Sondern dann haben andere Fachleute auf der Strasse zu überprüfen, ob wir genügend rasch reagieren, ob wir den Überblick behalten und die Verkehrsregeln beachten. Führerprüfungsexperten oder dafür ausgebildete Fahrlehrer wären das, die uns von der Strasse weisen  könnten. Auweia, das würde weh tun.

 

Politisch hat sowas keine Chancen. Leider.