seniorweb.ch, 30. Oktober 2021,

 

Ist bei Bestattungen alles erlaubt?

 

Ist beim Umgang mit dem Sterben alles möglich? Oder setzt der Respekt vor der Totenruhe Grenzen der Freiheit? Wir hoffen auf Antworten unserer Leserinnen und Leser.

 

Jetzt, an Allerheiligen und Allerseelen, besuchen viele die Gräber ihrer Angehörigen. Manche denken dabei auch daran, wie sich das Bestattungswesen verändert hat. Um diese Entwicklung zu veranschaulichen, berichten wir hier vorerst über zwei wirklich geschehene Ereignisse.

 

 

Das Bestattervelo transportiert den Sarg mit oder ohne verhüllende Planen. Bild srf

 

Erstens: das Lastenvelo als Leichenwagen. Vor einigen Tagen fiel mir in Bern ein grosses Lastenvelo auf. Unterstützt von einem Elektromotor pedalte hinten eine junge Frau. Mit dem Fahrrad transportierte sie einen mehr als zwei Meter langen Behälter samt einer Konstruktion mit Planen als Aufsatz.  

 

Erst etwas später bemerkte ich, für was dieses Gefährt bestimmt war: Es war ein dreirädriger Leichenwagen. Das Fahrrad gehört dem Bestattungsunternehmen Aurora. Wenn die Angehörigen dies wollen, können die Planen entfernt werden, so dass der Sarg sichtbar wird. „Nein, das sei kein PR-Gag“, versichert die Firma. Mit dieser Transportart würden die Wünsche der Angehörigen oder der letzte Willen des Verstorbenen gewürdigt.

 

 

Eine Berner Kirchgemeinde lädt zum „Death Café“ ein. Ähnliche Angebote gibt es auch anderswo. Bild Peter Steiger    

 

Zweitens: „Death Café“. Wenige Tage später fiel mir eine handschriftliche Ankündigung auf. Eine Berner Kirchgemeinde wies damit auf ihr „Death Café“ hin. „Tausch dich in einer gemütlicher Runde über den Tod aus“, las ich weiter auf der Tafel. Solche Treffs gibt es auch anderswo. Die Idee dafür stammt aus der Schweiz. Bei Kaffee und Kuchen soll man sich über das Sterben austauschen.

 

Heute ist vieles möglich. Das früher starre Bestattungswesen ist in den letzten Jahrzehnte ins Wackeln gekommen. Die Angehörigen streuen die Asche in Seen, Flüsse, steigen dafür in die Berge oder in ein Flugzeug. Aus der Asche von Verstorbenen lassen sich Diamanten pressen, die man auch als Schmuck tragen kann. Trauernde vereinbaren für den Hinschied ungewöhnliche Rituale mit ebenso ungewöhnlicher musikalischer Begleitung.  Die Todesanzeigen in den Zeitungen sind viel persönlicher gehalten als früher. Sie haben Bilder, die auch mal das geliebte Auto zeigen. In Deutschland ist es in einigen Friedhöfen möglich, ein verstorbenes Haustier mit ins Grab zu nehmen. Auch auf unseren Friedhöfen ist vor allem für Kindergräben vieles erlaubt.

 

Ist Respekt altmodischer Schnickschnack? Das alles steht in den allermeisten Fällen im Einklang mit der Würde des letzten Abschieds. Doch sind es die zwei eingangs beschriebenen Geschehnisse auch? Gemütliches Pläuscheln über das Sterben oder schwitzend Leichen zum Friedhof pedalen – das sei pietätlos, sinnierte mein innerer Anstandswauwau.

 

Mein zweiter Gedanke: Sterben ist der privateste Moment im Leben. Solange niemand zu Schaden kommt, ist es jeder, jedem, selbst überlassen, wie er oder sie den Abgang gestaltet. Ob Unbeteiligte damit geschockt werden und ihr Anstandsgefühl leidet, ist nicht mein Problem.  Alles erlaubt? Oder sind Grenzen zu beachten? Ich weiss es nicht. Um mich doch nicht ganz unbeteiligt aus der Frage davonzustehlen: Ich will keinen Pomp, aber doch eine Feier, bei der man respektvoll auf mein Leben zurückblickt. Lieber schwarzer Anzug und Krawatte als T-Shirt und Jeans.


Wir hoffen auf Stellungnahmen. Totenruhe vs. Freiheit? Es geht bei dieser Frage nicht (oder nicht nur) um die beiden am Anfang geschilderten Geschehnisse, sondern ums Allgemeine. Sind dem letzten Willen keine Grenzen gesetzt? Dürfen die Trauernden alles umsetzen, selbst wenn sie die Öffentlichkeit vor den Kopf stossen? Wie beurteilen die Seniorweb-Leserinnen und -Leser die Frage? Über die Kommentar-Funktion zu diesem Artikel erhoffen wir uns kurze oder längere Stellungnahmen.