Berner Zeitung, 29. Oktober 2018

Befehlsausgabe fürs Kanonenfutter


Sie hat das Kommando, er ist der Rekrut. «General Mutter» im Theater Matte überwindet dieses Schema erst am Schluss.


Beziehungen zwischen Mutter und erwachsenem Sohn leiden unter den Nie- und-immer-Symptomen: Nie bist du da. Immer gehst du zu früh. Ja, es gibt Abstufungen, selten sogar symptomfreie Verläufe. Wie stehts mit den Vätern? Die verstecken es besser. Ausserdem, Achtung heikel, weil geschlechtsspezifisch: Ihnen fehlt das Gluggere-Gen. Und sie haben andere Interessen. Hopp YB.


Das war der allgemeine Teil. Jetzt kommt der spezifische. Das Theater Matte zeigt als Schweizer Erstaufführung das Zweipersonenstück «General Mutter» nach der Erzählung «Mutter und Sohn» von Bernd Schroeder. Regie führt Renate Adam.


Mit Superwaffen


Die Mutter (Marianne Tschirren) ist die Miesepetra. Sie kritisiert die Partnerinnen des Sohnes, sie bemäkelt dessen Arbeit, sie bezweifelt seine Fähigkeiten. Der Sohn (Adamo Guerriero) wehrt sich meist nicht erfolgreich mit dem Rechtfertigungs- und Entschuldigungsreflex. «Bin ja nicht für lange fort, rufe doch immer wieder an.»


Dieses Muster ist als Dialogschema ganz amüsant, tendiert unter der Regie von Renate Adam aber ein bisschen zum Slapstick. Noch mehr komödiantischen Effekt erhält der Freistilkampf, als die Mutter die Superwaffen im Generationenkonflikt einsetzt: Erstens Gebrechlichkeit. Sie ist eine Scheininvalide. Zweitens Konkurrenz. Die früh verstorbene Tochter posiert als Familienheilige in der Wohnwand.


Mit Schlammschlacht


Die Vorlage, das Buch des deutschen Autors Bernd Schroeder, 74, ist vielschichtiger. Der Sohn scheitert beruflich und privat. Die Mutter leidet unter dem Suizid der Tochter. In der Bühnenfassung und in der Inszenierung von Renate Adam kommt das etwas gar beiläufig daher. Schade. «General Mutter» berührt am meisten, wenn die beiden Protagonisten das Gut-böse-Schema verlassen und man spürt, dass die Schlammschlacht die Sicht auf anderes verstellt. Wie heisst das doch gleich? Liebe, trotz allem.


Marianne Tschirren zeichnet die Mutter am Anfang mit etwas gar viel Permafrust. Dann punktet sie als schlaue Intrigantin. Auch Adamo ist nach der Pause stärker – dann, wenn hinter der Abwehr seine Verletzlichkeit aufscheint. Fredi Stettler hat das Bühnenbild zusammengestellt, ein Wohnzimmer aus den Sechzigern. Pingelig könnte man anmerken, dass die Zeit nicht stimmt. Chronologisch richtig wären die Achtziger. Marianne Tschirren hat die Mundartfassung erstellt, gut verständliches Berndeutsch. Nochmals pingelig: Seit Dufour, Wille, Guisan gibts in der Schweiz keine Generäle mehr. Aber «Oberstkorpskommandant Mutter» wäre kein wirklich gäbiger Titel.