Berner Zeitung, 3. April 2017

Tschüss? Küssi? Grüessech? Hey? Tschau? Oder doch Hallo?

Neulich auf der Strasse: Ich begegne einer Frau. Ich habe sie zwar noch nie getroffen, doch telefonierten wir schon mehrmals, tauschten Mails und haben uns gut verstanden. Wie begrüssen wir uns? Hallo? Handschlag? Küsschen? Angedeutete Umarmung? Oder die derzeit angesagte Ganzkörperumschlingung? Die Entscheidung muss in Sekunden fallen. Und sie ist wichtig. Wie heisst es so treffend: Der erste Eindruck prägt. Stimmt. Was soll ich drücken: die Hand, die Wange, den Oberkörper?


Das Problem wird noch verschachtelter, wenn ich einer Gruppe begegne. Ich kann alle gleich behandeln, Rudelschmatzen. Ich kann individuell vorgehen. In beiden Fällen stehe ich auf glitschigem Terrain. Die nach unten wie oben offene Skala lässt unzählige Möglichkeiten offen. Unten: angewidert abwenden, oben: die öffentliche beischlafähnliche Handlung. Was ich auch immer tue: Ich bin mal zu distanziert, mal zu intim, brüskiere die mir Vertrauten, überfalle die bloss flüchtig Bekannten.


Bisher im Stich gelassen hat uns die moderne Technik. Es gibt Apps für jeden Unsinn. Doch ein Begrüssungshelferlein fehlt. Es würde mich vor peinlichem Fehlverhalten bewahren und anzeigen, ob ich dem mir flüchtig bekannten Mann letztes Mal per Hallo oder inniger Umarmung begegnet bin.


Die Globalisierung hat das Problem verschärft. Mit dem hier heimischen Tripelkuss stosse ich im Ausland auf Unverständnis. Verbreitet ist der simple Doppelkuss, in Nordafrika als Couscous bekannt. Immerhin können wir durch Begrüssungsformen unsere Weltläufigkeit beweisen. Also überstrapazieren wir mit südlichem Überschwang und tätlicher Wiedersehensfreude sowohl unser Gegenüber wie auch unsere Frustrationstoleranz, wenn er oder sie sich gegen handgreifliche Rituale wehrt.


Der Trend geht Richtung Nahverkehr. Wer Offenheit und urbanes Lebensgefühl dokumentieren will, geht ran. Dies nicht, weil uns das Gegenüber so sehr ans Herz gewachsen ist, sondern weil wir damit Sozialkompetenz dokumentieren.


Wie die Hunde setzen wir Duftmarken. Wer küsst, umarmt, berührt, gibt sich als Kommunikationscrack zu erkennen. Wer als Holzpflock dasteht, hat ein zwischenmenschliches Defizit. Bei der am Anfang erwähnten Frau begann das Treffen mit Hampeln: Arme erst oben, dann unten, Oberkörper erst vor, dann zurück. Kuss erst gestartet, dann abgebrochen. Es endete damit, dass wir lachten. Gar nicht schlecht.