Berner Zeitung, 15. August 2017


Wer zögerlich zahlt, bestraft sich selber


Vier von zehn Kunden begleichen ihre Rechnungen zu spät. Sie vergessens, haben kein Geld oder benützen den Lieferanten als Kreditgeber. Für alle gilt: Fristen versäumen kann teuer werden.

Die Zahlungsmoral der Schweizer hat abgenommen. Laut dem Branchenverband haben letztes Jahr die Inkassoforderungen um 13 Prozent zugenommen. Je nach Landesregion bezahlen die Kunden mal pünktlicher oder lassen die Lieferanten warten.


Gotthardloch und Röstigraben. Gemäss einer Untersuchung des Infodienstes Bisnode zögern die Tessiner am längsten. 61 Prozent überweisen das Geld verspätet, im Durchschnitt 15 Tage nach der Fälligkeit. Der Südkanton ist das Schlusslicht in der Schweizer Rangliste. Der Spitzenplatz liegt jenseits des Gotthards: Im Urnerland überziehen nur 19 Prozent die Frist, und dies bloss um 7 Tage. Die Berner rangieren auf dem guten 5. Platz: 31 Prozent zu spät, 9 Tage überfällig. Neben dem Gotthardloch klafft ein Röstigraben: Laisser faire bei den Romands. Sie belegen mit dem Tessin und dem Kanton Schwyz die hintersten Plätze. Das Schweizer Mittel: 40 Prozent zu spät, 11 Tage nach dem Termin.


Vergessen, verloren, versäumt. Das Inkassounternehmen Intrum Justitia hat die Gründe für die Verzögerungen untersucht. Drei Viertel geben finanzielle Probleme an. Mehr als die Hälfte meldet «administrative Herausforderungen» – das heisst, sie haben Rechnungen vergessen, verloren oder Termine versäumt. Rund 30 Prozent nennen «absichtliche Verzögerungen». Dahinter steckt wohl ebenfalls Geldmangel – der Kunde bezahlt andere, dringlichere Forderungen.
Der Südkanton ist das Schlusslicht in der Schweizer Rangliste. Der Spitzenplatz liegt jenseits des Gotthards: Im Urnerland.


Wenn Skonto draufsteht – sofort zugreifen. Gegen säumige Kunden wehren sich Betriebe mit Mahnungen und Verzugszinsen. Andererseits können sie Vorzugszahler auch belohnen – mit einem Nachlass, mit Skonto. Der Lieferant gewährt beispielsweise 2 Prozent Rabatt, wenn die Beträge statt nach 30 Tagen bereits nach 10 Tagen eintreffen. Skonto sei heute kaum mehr üblich, erklärt Claude Federer vom Wirtschaftsauskunfts- und Inkassoinstitut Creditreform. Aus verständlichen Gründen: Ein Minus von 2 Prozent für eine um 20 Tage frühere Zahlung entspricht einem Jahreszins von rund 30 Prozent. Für den Kunden heisst das: Wenn ein Lieferant Skonto anbietet, sofort zugreifen.


Verspätet zahlen oder Kredit aufnehmen? Wer Fristen überzieht, benützt den Rechnungssteller als Kreditgeber. Was ist aus Kundensicht günstiger: einen Kredit aufnehmen und pünktlich zahlen oder den Termin missachten und Gebühren und Verzugszinsen in Kauf nehmen? Die Vorgabe für den Vergleich: Ein Kunde bezahlt eine Rechnung über 10'000 Franken erst 6 Monate nach der Fälligkeit.


Der Lieferant als Bank. Creditreform hat für diese Zeitung als Beispiel ermittelt, mit welchen Kosten der abwartende Kunde zu rechnen hat: 50 Franken Mahn- und Inkassogebühren. 250 Franken Verzugszins. 825 Franken Verzugsschaden. Zusammen 1125 Franken. Weil die Voraussetzungen variieren, ist diese Aufstellung nicht frankengenau. Überdies: Mahn- und Inkassogebühren müssen in den Vertragsbedingungen enthalten sein (oft im Kleingedruckten). Und der Verzugsschaden lässt sich juristisch kaum durchsetzen. Werden die Ausstände zu gross, können Firmen Löhne, Mieten oder Material nicht bezahlen.


Die Bank als Bank. Entscheidet sich der Kunde für einen Konsumkredit, belastet ihn die Bank mit Zinsen zwischen 6 und 10 Prozent und dadurch mit Kosten zwischen 130 Franken und 280 Franken. Ein Kredit ist somit günstiger. Unter anderem weil sich der Kunde einer Bonitätsprüfung unterziehen muss, ist er aber mühsamer.


Erst das Geld, dann die Ware. Die Fristen vernachlässigen kann weitere unangenehme Folgen haben. Claude Federer von Creditreform erklärt, dass Betriebe säumige Zahler mit schlechteren Konditionen bestrafen. Michael Loss vom Inkassounternehmen Intrum Justitia ergänzt: «Viele Internethändler ermöglichen diesen Kunden nicht mehr, dass sie auf Rechnung einkaufen, sondern verlangen Vorauskasse oder Zahlung auf Kreditkarte.» Finanzdienstleister wie Byjuno oder Swissbilling erlauben den Käufern, diese Hürde zu überspringen. Der Kunde kauft per Rechnung, die Institute übernehmen gegenüber dem Händler das Risiko. Wie bei den Kreditkarten werden sowohl den Bestellern wie den Lieferanten Gebühren verrechnet.

Offene Rechnungen sind gefährlich. «Wenn Forderungen liegen bleiben, weil das Budget zu knapp ist, droht oft Überschuldung», erklärt Noémie Zurn von der Berner Schuldenberatung. Nicht nur zu wenig Geld bedroht das finanzielle Gleichgewicht: «Wer keinen Überblick mehr hat, Arztrechnungen nicht bei der Krankenkasse einreicht oder die Steuererklärung nicht ausfüllt und eingeschätzt wird, kann in eine Schuldenfalle tappen.»


Säumige Kunden treiben Firmen in den Ruin. Überfällige Rechnungen bedrohen Betriebe. Werden die Ausstände zu gross, können sie Löhne, Mieten oder Material nicht bezahlen. Manche Firmen übergeben die Rechnungen Inkassobüros. Diese erledigen das Forderungswesen und vertreten ihre Kunden auf dem Rechtsweg, zum Beispiel bei Betreibungen.
Finanztechnologie mischt mit. In den letzten zwanzig Jahren hat sich mit dem Factoring eine neue Dienstleistung eingebürgert. Dabei überlässt der Händler seine Forderungen einem Finanzdienstleister. Er erhält sofort Geld, üblich sind 90 Prozent der Rechnungssumme. Die Factoring-Firma treibt den offenen Betrag ein. Erst seit wenigen Jahren hat auch die Finanztechnologie diese Marktlücke entdeckt. Fintech-Unternehmen wie Advanon bezahlen die Rechnungssteller nicht selber, sondern ermöglichen Investoren, die Ausstände zu bevorschussen.