Berner Zeitung, 15. Mai 2017

 

Wer ist zuerst auf dem Bänkli?

 

Vorgestern waren 100 000 Zuschauer am Berner Grand Prix. Mitte März waren 15 Zuschauer an der Lugano-Trophy für Geher, bei jener Sportart also, bei der rennen verboten ist.

 

Ganz Bern guckte Rudeljoggen. Kaum jemand schaute im Tessin zu. Das ist sonst anders. Wenn sich Geher im Alltag konkurrenzieren, haben sie Publikum. Zum Beispiel beim Kampf um den einzigen freien Tisch im Gartenrestaurant. Von links kommen Müllers, von rechts Meiers. Wer sitzen will, muss beschleunigen. Unauffällig, denn alle schauen zu. Rennen bedeutet Disqualifikation.

 

Die Königsdisziplin des Freistil-Gehens ist der Bänklisturm. Schauplatz ist diesmal der Elfenau-Park, Zielobjekt die letzte freie Ruhebank. Abegglens kommen von Muri her, Rüedis von Bern. Abegglens sind favorisiert: Vater, Mutter, Sohn (12). Der Speed von Rüedis, ebenfalls Vater, Mutter, Kind, leidet unter der erst anderthalbjährigen Tochter. Spannend wird der Kampf, weil beide Seiten handicapiert sind. Rüedis sind durch ihren SUV-Kinderwagen behindert, beladen mit Pink-Trotti und der Sandkastenausrüstung Explorer III. Abegglens haben am Muttertag die Grossmutter samt Rollator Buffalo HD XXL dabei.

 

Als die Konkurrenten das Bänkli wie auch die Mitstreiter entdecken, beginnt der Kampf. Abegglens steigern ihre Performance, indem sie das Grossmutter-Rollator-Gespann schubsen und stossen. Tatsächlich erarbeiten sie Geländegewinne. Vater Rüedi kontert, indem er den Baby-Truck der Mutter übergibt. Er löst sich vom Pulk und gewinnt Meter um Meter. 

Da geschieht es: Das überladene Gefährt kollidiert mit dem Wegrand und überschlägt sich. Eile mit Weile: Rüedi muss umkehren und mithelfen, das Pannenfahrzeug aufzurichten. 

 

Doch Abegglens freuen sich zu früh. Der 12-jährige tätlich pubertierende Sohn findet die Aktion megaoberpeinlich und schert aus. Grossmutter, vom Generationenkonflikt überfordert, bleibt stehen. Die Mutter versucht vergeblich, Frieden zu stiften. Nun fasst die Gegenpartei neuen Mut, Rüedis nähern sich zügig dem Zielobjekt. Da übermannt es Vater Abegglen. Er rennt und kann die Bank als Sieger besetzen. Ein klarer Regelverstoss, doch wie sagte es schon Olympia-Baron de Coubertin: «Siegen ist wichtiger als verlieren.»