Berner Zeitung, 13. Juli 2017

Schiffsromantik für Autofahrer


OSTSEEFÄHREN Alles läuft wie am Schnürchen: Auf dem Baltischen Meer transportieren Fähren Millionen von Menschen und Fahrzeugen. Und doch: Auch heute noch können sich die Passagiere über Seefahrerromantik freuen.


Manche Überfahrten dauern bloss eine gute Stunde. Auf anderen Linien, zwischen Travemünde und Helsinki etwa, sind die Schiffe über 30 Stunden lang unterwegs. Abgesehen von den kleinen Booten fürs Insel-Hopping transportieren in der Ostsee Fähren auf rund hundert Strecken Passagiere und Autos. Auf unseren Skandinavien-Reisen haben wir fast alle wichtigen Verbindungen kennen gelernt. Unser Fazit: Moderne Fähren sind zwar durchorganisierte Transportmittel, dennoch vermitteln sie das Flair der grossen Reise auf dem grossen Schiff.


Konkurrenz belebt das Geschäft. Auf viel befahrenen Strecken kann man zwischen mehreren konkurrenzierenden Unternehmen auswählen. Die Reisenden profitieren vom Preiskampf und von gut unterhaltenen und ausgestatteten Schiffen. Auf der langen Strecke von Kiel nach Oslo bieten sie gar Kreuzfahrtniveau mit vollem Programm, mit Shows, Nachtklubs und mehreren Restaurants. Spektakulärer als die Darbietung der oft zweitklassigen Bühnenkünstler ist allerdings die Einfahrt nach Oslo durch den Fjord.


Parkdeck-Odyssee. Die Reedereien bemessen die Check-in-Zeiten reichlich und verlangen damit von den Passagieren, dass sie lange warten müssen. Routiniers vermeiden dies und fahren erst kurz vor dem Ende dieses Limits vor oder überschreiten es gar. Ist man erst mal auf dem zugewiesenen Platz im Bauch des Schiffes, ist Konzentration angesagt. Weil die Crew die Laderäume abschliesst, muss man erstens alles aus dem Auto nehmen, was man bis zur Ankunft braucht. Und weil zweitens in einer Fähre auf den vielen Decks mehrere Hundert Wagen parken, sollte man genau wissen, wo man sein Fahrzeug hingestellt hat. Wer suchen muss, erlebt eine Tiefgaragenodyssee – verschärft durch ungeduldige Hafenarbeiter, die entweder Feierabend machen oder die Decks mit den nächsten Autos beladen wollen.


Seeschlacht am Buffet. Bei den Schiffsgastronomen beliebt sind Buffets. Sie vermitteln die Eigenheiten der skandinavischen Küche und sind durchaus zu empfehlen. Je nach Weltanschauung wähnt man sich dabei auf manchen Routen im Schlaraffenland oder in einem Säuferparadies. Aus Zapfhähnen fliessen Bier sowie Rotund Weisswein – in Selbstbedienung, so viel man will und erträgt. Trotz dieser Versuchungen mussten wir uns nie über Alkoholleichen ärgern. Hingegen beklagen sich in Internetforen vor allem deutsche Reisende über die hohen Verpflegungspreise. Die Skandinavier und wir Schweizer sind resistenter gegenüber Schockpreisen als beispielsweise die von Billigangeboten verwöhnten Deutschen. Zusammengefasst: Essen und Trinken kostet ungefähr gleich viel wie bei uns.


Fahrt ins gelobte Land. Auf einer unserer Überfahrten war ein Roma-Clan dabei. Die Männer und Frauen waren unterwegs von Osteuropa nach Schweden, damals noch ein uneingeschränktes Einwandererparadies. Sie benahmen sich, wie es das Vorurteil will: Bettelten vom Bug bis zum Heck, campierten farbenprächtig in der Raucherlounge und ärgerten sich darüber, dass der Sicherheitsmann im Duty-free-Shop Kollegen zur Verstärkung holte.


Hormone reisen mit. Wenn die Passagiere zwischen Start und Ziel nicht übernachten müssen, verschliesst das Personal alle Kabinen. So eine Seefahrt ist nicht nur lustig, sondern macht offenbar auch Lust. Ein hormongetriebenes Pärchen rüttelte links und rechts des Ganges an sämtlichen Türen auf der Suche nach einem Platz für ein Schiffsschäferstündchen.


Zollfrei Promille tanken. Auf allen Schiffen kann man sein Geld an Spielautomaten loswerden. Wer sein Portemonnaie anders leeren will, besucht die Dutyfree-Shops. Unterdessen verrechnen allerdings die Discounter vor allem in Deutschland ähnliche oder gar tiefere Preise. Immerhin sind die Läden bei vielen Norwegern, Schweden und Finnen als Promillequellen beliebt. In ihren Heimatländern ist der Verkauf von Alkohol stark eingeschränkt.


Hundsverlochete. Für Kinder haben die Reedereien Spielzimmer eingerichtet. Hunde und ihre Halter habens schwerer. Auf manchen Schiffen müssen die Besitzer spezielle Kabinen buchen. Auf anderen Strecken ist das Regime noch strenger: Die Halter sind gezwungen, ihre Tiere in Boxen im Bauch des Schiffs einzusperren. Zu geregelten Zeiten dürfen sie ihre Lieblinge auf zugewiesenen Decks Gassi führen. Über traumatisierte Hunde ist trotz dieser Radikallösung nichts bekannt. Um weiter bei der Segregation zu bleiben: Einige Fähren haben Trucker-Lounges. Immerhin: Die Lastwägeler können, müssen aber nicht unter sich bleiben. ss die Fähre auf engem Raum gewendet werden. Bilder Peter Steiger


TIPPS & INFOS


Die Preise schwanken. Die Reedereien gestalten die Tarife ähnlich wie die Fluggesellschaften nach Buchungszeitpunkt und Auslastung. Sie gewähren Boni für Tickets, die man nachträglich nicht mehr ändern kann. Die 15-stündige Überfahrt von Kiel nach Göteborg kostet zum Beispiel für zwei Personen samt Auto etwa 130 Franken. Dazu kommen die Tarife für die obligatorische Kabine. Die engen Kabinen innen, ohne Fenster, kosten rund 90 Franken, eignen sich allerdings nicht für Leute mit Platzangst. Die Luxusangebote haben klangvolle Namen, Panorama-Suite etwa, und stolze Preise, rund 300 Franken. Am einfachsten benützen Reisende die Buchungsportale, welche die Angebote der verschiedenen Reedereien zusammenfassen.