Berner Zeitung, 18.5.2015


Kochen für Gäste: Sollen die doch ins Gras beissen


Wir wollten zum Znacht einladen. Das ist ein Satz mit fünf Wörtern. Aber es stecken hundert Probleme drin. Wir wollten Ossobuco kochen, mit Nüdeli und Broccoli, dann Käse und am Schluss Tiramisù. Zusammengezählt braucht es dafür bloss ein Dutzend Zutaten. Doch es steckten tausend Probleme drin.


Erster Rückwärtsgang: getrennt. Die Schwierigkeiten begannen, als Sarah uns mitteilte, dass sie Proteine nicht mit Kohlehydraten mischen dürfe. Sarah isst nicht koscher in späthebräischer Ausprägung. Sie hält sich an die Hay-Diät, archaische Trennkost. Nun, dann halt keine Teigwaren.


Zweiter Rückwärtsgang: vegan. Dann meldete sich Urs. Wir kannten ihn als einen der letzten bekennenden Fleischesser, als Schwartenmagen-Ultra, als Salathasser. Urs also, der bislang sogar Blutwürste auf den Teller gehäuft hatte, eröffnete uns, dass er nun Vegetarier auf dem Weg zum Veganer sei. Wir kippten das Ossobuco.


Dritter Rückwärtsgang: okkult. Jetzt rief Bettina an. Sie habe mit Frank, ihrem Heiler, gesprochen. Frank habe ihr klargemacht, dass man die gefährliche okkulte Bedeutung der Milch unterschätze. Nur auf der Erde, und sonst auf keinem Planeten, trinke man Milch und sei deshalb mit dem Kosmos uneins. Wir hinterfragten Franks interstellares Wissen nicht, sondern strichen das Tiramisù.


Vierter Rückwärtsgang: gesimmert. Simona und Sven beschrieben in einem Mail, dass ihre Ying-Yang-Balance nicht austariert sei. Deshalb könnten sie zurzeit nur essen, was im Wasser entstanden sei. Ob wir gesimmerte Meeralgen hätten, fragten sie. Hatten wir nicht, wir liessen die Broccoli fallen.


Fünfter Rückwärtsgang: prähistorisch. Ralph, den wir bisher als grundsoliden Laktoveganer schätzten, hatte sich nach seiner Trennung von Daniel offenbar neu ausgerichtet. Er liess uns wissen, dass er gemäss seiner Blutgruppenidentität von Cromagnon-Steinzeitjägern abstamme und damit auf Rohproteine angewiesen sei. Ob er sein eigenes Sushi mitnehmen könne? Wir verneinten und verabschiedeten uns vom Käse.
Nachtisch. Wir hatten grosse Lust, unsere Gäste ins Gras beissen zu lassen.