Berner Zeitung, 25.8.2014


Rhodos mit Kakerlaken schlägt Kreta mit Wanzen


Jetzt sind die Ferien vorbei. Das ist gut so. Denn jetzt kann man den Urlaub für das benützen, wofür er eigentlich geschaffen ist: Man kann Ferienerlebnisse rapportieren. Diese haben allerdings einen Haken. Man erzählt sie immer und ausschliesslich jemanden, der a) auch schon dort war oder b) etwas viel Schlimmeres oder Spektakuläreres erfahren hat.


Wer von der Magenverstimmung auf Korsika schwärmt, muss vor 14 Tagen Durchfall auf Malta kapitulieren. Wer auf Kreta war und dort Wanzen traf, wird von jemanden getoppt, der Rhodos mit Kakerlaken gebucht hat. Wer seine Story mit zwei Wochen isländischem Nieselregen garniert, muss jenem den Vortritt lassen, der dieses Jahr Schweizer Sommerferien ertragen hat.


Das ADHS, das Aufmerksamkeit-Defizit-Hörtmirzu-Syndrom, tritt auch anderswo auf. Sehr häufig im Zusammenhang mit Krankheiten. Wer glaubt, er sei mit einer hübschen Stirnhöhlenvereiterung der Chef-Erzähler der Party, wird unfehlbar vom Podest gestossen. Das Rennen macht die Kieferverrenkung, die bis heute nicht sprechen kann.

 

Die folgende Geschichte ist wirklich wahr: Als ich vor vielen Jahren an einer Gallensteinkolik litt, was nun ja wirklich sehr unangenehm ist, versuchte jemand mit seiner Halsentzündung die Gesprächshoheit an sich zu reissen. Was ihm allerdings nicht gelang.

 

Ein verwandtes, aber doch eigenständiges Spezialgebiet sind Unfälle. Ein Beinbruch ist in keiner auch noch so kleinen Diskussionsrunde einen Pfifferling wert. Der Glückspilz mit der Torsionsfraktur mit Dislokation der Schulter hingegen ist der gefeierte Star des Abends.

 

Sehr häufig diagnostizieren wir das ADHS bei Reiseerlebnissen. Paddeln auf dem Amazonas schlägt Böteln auf der Aare. Pilgerfahrt nach Lourdes unterliegt Höllentour durch Feuerland. Ich rechne deshalb damit, dass mir das auch beim letzten Trip passieren wird, beim Sterben. Am Totenbett wird jemand da sein, der die Hinterbliebenen mit Selbsterlebtem von drüben in Beschlag nimmt.