Berner Zeitung, 14.07.2014


Mir bleiben noch 8,4 Millionen Minuten


Jetzt habe ich noch 16 Jahre. Restlebenserwartung nennt man das. Ist das viel, ist das wenig? Der Vergleich mit dem halb vollen, halb leeren Becher taugt ja längst nicht mehr. Es ist bloss noch ein Sechstel drin. In einem Weinglas reicht das nicht mal für einen soliden Promillewert.


Was kann ich in dieser Zeit noch machen? 16 Jahre sind rund 8,4 Millionen Minuten. Ich könnte in dieser Zeit 6 631 579-mal das Marzili-Bähnchen benützen (Fahrzeit 66, Standzeit 10 Sekunden). Oder ich könnte mir mit der elektrischen Zahnbürste 4,2 Millionen Mal die Zähne putzen (empfohlen 2, gefühlt 20 Minuten).


Und ich könnte mir 93 440 WM-Spiele anschauen (ohne Pause, ohne Verlängerung). Aber will ich das? Jedenfalls weiss ich, was ich nicht möchte: nämlich altern. Dabei hilft mir die Kosmetikindustrie. Sie will mir ihre Produkte verkaufen. Das schafft sie auch. Siehe unten. Vor allem aber will sie mich für dumm verkaufen.


«Biopeptide kurbeln den Stoffwechsel der Fibroplasten an.» So schwachsinnig wirbt der Hersteller für «Biotherm Homme – Age Refirm.» Ausserdem: «Enthält Silizium und Thermalplankton.» Plankton, das ist doch das Zeugs, das die Wale fressen. Nein, das streich ich mir nicht ins Gesicht. Vielversprechender scheint mir «Age Fitness Soin Jour». Weil hier «hochwirksame grüne und blaue Mikroalgenextrakte gegen freie Radikale kämpfen».


Aber erst wenn ich mich für «Rose Plus Anti-Ageing» entscheide, bin ich ganz auf der sicheren Seite: «Reduziert die Falten innerhalb von 30 Tagen um 55 Prozent, verbessert die Elastizität der Haut um 50 bis 70 Prozent.» 100 Milliliter von diesem Wunderstoff kosten zwar 250 Franken.


Doch für eine Haut wie ein Babyfudi ist das gewiss nicht zu viel. Ich verzichte trotzdem. Und benütze Nivea-Anti-Falten-Gesichtspflege. Hat immerhin Kreatin und zellaktive Folsäure drin. Allerdings verwende ich es nicht freiwillig, sondern weil die Ehepartnerin mit Sorgenfalten im Gesicht auf meine ebensolchen ebenda gezeigt hat. «Du musst was tun», sprach sie. Bewirkt haben die Tröpfchen aus dem Töpfchen eigentlich nichts. Jetzt verdichtet sich mein Verdacht: Die Kosmetikindustrie wirbt Frauen an, damit sie als freie Radikale ums Männerportemonnaie kämpfen.