Berner Zeitung, 9.10.2013

 

Keine Hypotheken für jene mit dem sicherstenEinkommen: Senioren


Eigentlich sind Herr und Frau Müller habliche Leute. Die beiden, 71- und 70-jährig, haben ein Vermögen von rund 200 000 Franken. Ihre Eigentumswohnung ist 700 000 Franken wert. Die Hypothek ist mit 380 000 Franken vernünftig hoch. Sie erhalten eine maximale Ehepaar-AHV-Rente von 3400 Franken. Die Pensionskasse überweist 1900 Franken. Damit haben sie ein Jahreseinkommen von 63 600 Franken. Weil das nicht reicht, beziehen sie vom Vermögen jährlich 30 000 bis 40 000 Franken. Das Eingemachte wird nicht ewig reichen. Weil sie dereinst ihre Wohnung veräussern, kümmert sie das wenig. Der Verkauf wird Geld in die Kasse spülen.


In diese Mittelstandidylle bricht der Bescheid der Bank ein: Nicht dereinst sollen Müllers ihr Eigenheim verlassen, sondern jetzt, sofort. Die abgelaufene Festhypothek werde nicht erneuert. Weil die Tragbarkeit nicht mehr gegeben sei, wie es auf Bankendeutsch heisst.
Die Begründung: Für den Hypothekarzins, den Unterhalt und für die Nebenkosten bezahlen Müllers jährlich 24 000 Franken. Tragbar im Sinne der Bank ist das nur, wenn das fixe Einkommen mindestens dreimal so hoch ist, also 72 000 Franken. Müllers erzielen ein Einkommen von 63 600 Franken. Nach dem Willen der Bank dürfen sie fürs Wohnen bloss 21 200 Franken ausgeben. Diese Verminderung erreichen sie, wenn sie die Hypothek verkleinern. Etwa 100 000 Franken müssten sie an die Bank überweisen. Damit halbierte sich ihr Vermögen, und in zwei, drei Jahren wären sie blank.

 

Jetzt verstehen Müllers die Bankenwelt nicht mehr. Sie haben mit AHV und Pension ein absolut sicheres Einkommen. Sie haben jahrzehntelang pünktlich den Zins überwiesen. Sie haben eine modern ausgestattete Wohnung in einem sanierten Haus an bester Lage in Bern. Und sie haben wenigstens vorläufig genügend Geld auf dem Konto.

 

Müllers vergleichen ihre Situation mit jener von Meiers. «Die Hypothek für das Einfamilienhaus der Familie Meier in der Agglo ist ein hochbrisantes Risikoprojekt», sagen sie. Stimmt: Herr Meier wird gemäss Schweizer Arbeitslosenquote mit dreiprozentiger Wahrscheinlichkeit seinen Job verlieren. Herr und Frau Meier werden sich gemäss Statistik mit 43-prozentiger Wahrscheinlichkeit scheiden lassen und dann vermutlich finanziell ins Schlingern geraten. Und mit nur Gott bekannter Wahrscheinlichkeit wird das Dutzendhaus im Grünen bei der kommenden Immobilienblase an Wert verlieren.


Wer erhält einen Kredit? Meiers. Wie behandeln Banken ihre Kunden? Wie rohe Eier. Und wie behandelt man rohe Eier? Man haut sie in die Pfanne.