Berner Zeitung, 31.05.2012


Senioren-Schweine verjagen pubertierende Wildsäue


Heute wende ich mich alternden Tieren zu, genauer den Senioren-Wildschweinen. In meinem Ferienort Hamburg erschreckt eine Horde dieser Tiere die Bevölkerung. Die Borstenviecher, die Männchen, Keiler genannt, werden bis zu 200 Kilo schwer, laufen nachts und tagsüber mitten durch die Innenstadt.


Täterschutz auch hier bei diesen Randalierern. Polizisten und Jagdaufseher konnten mit einem Betäubungsschuss ein Tier einfangen. Doch mussten die erfolgreichen Jäger ihre Beute in einem 20 Kilometer weit entfernten Wald wieder freilassen. Das Schicksal eines zweiten sichergestellten Borstenviehs ist noch unklar. Zurzeit weilt es in der Fürsorgerischen Freiheitsentziehung (FFE) in einem Gehege. Die Behörden sind sich uneins, ob sie es wieder aussetzen dürfen, sollen, müssen.


Was die anderen treiben und wie viele es sind, ist zurzeit offen. Augenzeugen berichten, dass die Tiere ins Wasser springen, in die Elbe und in die Alster. Wildschweine sind gute Schwimmer. Die Verkäuferin in meiner Bäckerei erinnerte sich, dass die Schweine bereits vor zwei Jahren mal in Hamburg waren.


Damals trauten sie sich nur in die Aussenbezirke, brachten dort allerdings eine S-Bahn zum Entgleisen. Vor diesem Hintergrund sind die Berner Wildtierprobleme mit Panther, Bären und Wölfen bloss kleine Fische.


Wildsaualarm in der City, bei den Hotspots einer Grossstadt. Jogger haben die Borstenviecher bei der Elbphilharmonie gesichtet. Polizisten jagten sie mit Maschinenpistolen und Blaulicht am Jungfernstieg. Auf die Berner Verhältnisse übertragen, wäre das eine Bärenhatz in der Spitalgasse.


In Hamburg eingefallen sind ausschliesslich junge Schweine. Den waghalsigen Trip unternahmen sie, weil sie von den alten Tieren aus der angestammten Rotte verjagt wurden. Im März und April kommen viele Frischlinge zur Welt. Weil die Gruppe sonst zu gross würde, vertreiben die Senioren die Nachkömmlinge aus dem letzten Jahr im Mai aus der Horde.


Der aus dem Hotel Mama verjagte Nachwuchs ist risikofreudiger, aber auch unerfahren und traut sich deshalb an waghalsige Abenteuer. In Hamburg randalieren pubertierende Wildsäue. Schuld sind die Alten, weil sie es zu Hause gerne gemütlich haben. Eins zu eins lässt sich das nicht auf die Menschen übertragen. Aber ein bisschen schon.