Berner Zeitung, 25.06.2012


Über den Rentnerblues und Falten am Po


Seit einem Jahr bin ich pensioniert. Ein grosses Jubiläum ist das nicht. Aber in diesem Alter gibts ja nicht mehr so viele runde Anlässe. Drum bietet das kleine Jubiläum die Gelegenheit zur Rückschau.


Das Geld. Es war die grosse Überraschung. Rentnern ist viel teurer als gedacht. Essen, Kleider, Ferien, Anschaffungen: Erstens kommt es anders und zweitens als budgetiert. Das hat zwei Gründe. Einer macht Freude, der andere Angst. Ich habe mehr Zeit zum Ausgeben, juhui. Und ich habe keine Lust, das Ersparte mit ins Grab zu nehmen, o je.


Die Arbeit. Kinder hüten, Bücher schreiben, Kitas bekochen, Firmen retten, Biotope pflegen oder eben Artikel schreiben. Irgendwas Sinnvolles tun bewahrt vor dem Rentnerblues.


Die Liebe. Rente killt Ehen. Weil dauernde Nähe Gift ist. Mag sein. Weil wir zwei getrennte Haushaltungen führen, muss ich passen. Unserer Beziehung hat die AHV mehr genützt als geschadet. Das hat einen romantischen Grund: Ein altes Liebespaar rührt ans Herz. Und es hat einen nüchternen Grund: Wir sind aufeinander angewiesen.

 

Das Glück. Vorher zählte ich die Jahre, die Monate, Wochen, am Schluss die Tage. Am P-Tag, meinte ich, würde es da sein, das Glück. War nix. Auf und Ab wechseln ziemlich unverändert ab. Es ist wie mit den Ferien. Die machen vorher auch mehr Freude als während.

 

Der Körper. Falten gibts nicht nur im Gesicht, sondern auch am Bauch, am Po, an den Oberschenkeln. Sie sind mit schuld am AHV-Hänger, der mich vor allem morgens im Bett befällt. Sport hilft. Joggen heilt auch die strübsten Endzeitdepressionen. Wenn Seckle ein Medikament wäre, würde es unter das Betäubungsmittelgesetz fallen.

 

Die Furcht. Das Alter sei keine Schlacht, sondern ein Massaker, hat der amerikanische Autor Philip Roth gesagt. Bis jetzt ist es nur ein Geplänkel, mal hier ein Schlag, mal dort ein Schuss, Hexenschuss etwa. Zu wissen, dass das bloss Ankündigungen sind, macht Angst.

 

Der Mut. Alt werden macht mutig. Je mehr man schon verloren hat, desto weniger kann man noch verlieren. Peinlich aufzufallen zum Beispiel, ist nicht mehr so schlimm. Vielleicht laufen jetzt im Sommer deshalb so viele hässliche alte Männer mit Bäuchen im Unterleibchen durch die Welt.

 

Der Tod. Lange war er bloss ein Wölkchen am Himmel. Jetzt ist er ein Gewitter, das blitzt und donnert. Und immer näher kommt. Christen, Muslime, Juden oder weitere einschlägig Gläubige können auf Manna und Halleluja hoffen. Uns anderen bleibt als Vision nur das grosse Loch.