Berner Zeitung, 2.7.2012

Erhält ein älterer Mann einen Sitzplatz im Tram, wenn er darum bittet?

Das Erfreuliche zuerst: Die etwa 40-jährige Frau, teuer gekleidet, verweigert mir im 8er Tram Richtung Saali ihren Sitzplatz. «Sie schauen doch fit und gesund aus», sagt sie. Peinlich, aber ein Aufsteller. Ich steige am Thunplatz aus. So kann ich den amüsierten Blicken der Passagiere entgehen und ungeniert die schmeichelhafte Unhöflichkeit geniessen.

Ich wollte herausfinden, ob man in Bern als älterer Mann im Tram oder Bus einen Sitzplatz bekommt wenn man darum bittet. Die Voraussetzungen des Tests: Die Plätze im Fahrzeug sind ganz oder fast vollständig besetzt. Und ich verzichte auf den Mitleidsbonus: keine Krücken.

Der junge Mann fährt im Bus Nummer 21 Richtung Bahnhof. Ich steige um 8.18 im Rossfeld zu. Nach meiner Bitte nickt er und steht auf. Er schaut mich nicht an, nie, auch nicht als ich mich artig bedanke.

Die zwei Kichermädchen frage ich im 7er Tram, 9.01 ab Ausserholligen stadteinwärts. Die etwa 15-Jährigen können sich kaum erholen. Schliesslich erheben sich beide und lassen den Sitz neben mir frei.

Bei dem dicken Mann weiche ich von meiner Testanordnung ab und mache auf leidend. Im 9er Tram, 17.41 ab Kursaal Richtung Guisanplatz, sage ich ihm, dass es mir übel sei. Er steht auf und fragt mich sogar, ob er mir sonstwie helfen kann.

Die gemässigte Muslima, Kopftuch und ziemlich glitzernd behängt, sitzt im 17er Bus, 8.10 ab Kaufmännischer Verband Richtung Köniz . Fast akzentfrei sagt sie «ja klar, chömid numme».

Bei den zwei Modis muss ich leer schlucken. Weil sie mir, wiederum im 17er, 8.44 ab Fischermätteli stadteinwärts, ungefragt einen Sitz anbieten. «Nein, danke,», sage ich gekränkt. Man hat ja schliesslich seinen Stolz.

Fünf Mal ja, ein Mal nein. Das letzte vorauseilende Angebot nicht mitgerechnet habe ich es an verschiedenen Tagen insgesamt sechs Mal versucht – mit positivem Ergebnis. Repräsentativ ist das nicht. Dafür tröstlich. Von wegen Respekt vor dem Alter und so. Aber peinlich wars. Ich musste allen Mut zusammennehmen, um Unbekannte um einen Gefallen zu bitten. Das gibt mir zu denken.

Jene, die tatsächlich auf einen Sitz angewiesen sind, wirklich Alte, wirklich Behinderte, brauchen viel Seelenruhe für diese Bitti-Bätti-Tour.