Berner Zeitung; 19.03.2012


Auch pensionierte Einbrecher wollen ihre Ruhe haben


Gerichtsreportagen sind bei Journalisten beliebt. Man bekommt ohne grossen Aufwand Schicksale vorgesetzt, manchmal traurige, hin und wieder lustige. Weil man zuerst das Juristische aufarbeiten muss, fehlt meist der Platz, um diese Menschengeschichten zu erzählen. Diese Story handelt von Ferenc Szendrey, Name wie üblich geändert.


Es ist die Geschichte eines alten Diebs, der nun, wie er selber sagt, im Gefängnis endlich etwas kürzertreten kann. Vor rund zehn Jahren hörte ich sie im Gerichtssaal. Vor dem Richter erscheint ein unscheinbarer Mann in Jeans und Pullover. Er ist als Zeuge geladen, wohnt, na ja, ist arretiert in Witzwil. Weil er den Angeschuldigten belastet, nimmt ihn dessen Verteidiger auseinander. Der Richter lässt ihn gewähren – vermutlich auch, weil er die Schmunzelgeschichte gerne hört.

 

Szendrey kam nach dem Ungarnaufstand 1956 als 18-Jähriger in die Schweiz. Er war wohl weniger vor den russischen Panzern geflüchtet als vor der Polizei, die ihm, dem Einbrecherlehrling, einiges vorzuwerfen hatte. Und: Die Schweiz bot ihm in seinem Beruf die weit besseren Chancen.

 

In den Filmen erlebt man die Einbrecher als schicke Herren. Vordergründig sind sie untadelig und kniggebewusst. Im Schutz der Dunkelheit erklimmen sie gefährliche Fassaden und stehlen der Baronin den Millionenschmuck. Unser Mann hatte ein simpleres Geschäftsmodell. Er klaute aus leer stehenden Ferienhäusern, was verwertbar und nicht nicht niet- und nagelfest war. Das ist nicht der Stoff fürs grosse Kino. Immerhin hatte er seinen Berufsstolz. Er vermied unnötigen Schaden. «Bin ich nie mit schmutzige Schuh ins Zimmer», sagt er vor Gericht.

 

Er streifte zwar artig den Dreck ab – hinterliess aber offenbar dennoch Spuren. Jedenfalls ertappte ihn die Polizei immer wieder. Er war ein Drehtürdelinquent, mal rein ins Gefängnis, mal raus aus der Zelle. So vergingen die Jahre und Jahrzehnte. Er war mehr Büezer als Krimineller. Man muss sich das vorstellen: Hier mal eine Stereoanlage, dort mal einen Fernseher. Das waren früher klobige Dinger. Selten kam er mal an ein bisschen Schmuck. Das Zeug musste transportiert und verhökert werden. Knochenarbeit.

 

Und nun steht er als Zeuge vor Gericht, zuckt mit den Achseln, als ihm der Richter den unsteten Lebenswandel vorhält. Und man hat den Eindruck, dass er jeweils nicht unglücklich war, wenn er wieder ein paar Monate eine ruhige Kugel in einer ruhigen Zelle schieben konnte.

 

Ganz sicher erlebte er dieses kleine Glück hier bei seiner vorläufig letzten Station in Witzwil. Er sei nun 64, sagt er. Unterhaltungselektronik lasse sich kaum mehr verkaufen. Die Ferienhäuser würden immer besser gesichert. Ja, er sei froh, hier in der Haftanstalt seinen Vorruhestand erleben zu können. «Und wenn Sie wieder rauskommen?», fragt der Richter. «Da bekomm ich doch AHV.»