Berner Zeitung, 13.8.2012 

 

Bekenntnisse aus dem Rotlicht-Milieu


«Itz maches ou die Aute», rief mir der ebenfalls ergraute Mann hinterher. In der Unterführung beim Bahnhof Bümpliz-Süd wars. Ich fuhr mit dem Velo durch. Langsam. Ich schwörs, ausser diesem Mann und mir war niemand im Betondurchgang. «Velofaare isch hie verbotte», ergänzte er seinen Verkehrskundeunterricht.


Ja, die Alten machen es jetzt auch. Das hat kürzlich der Bussenwirbel bei der Berner Kornhausbrücke gezeigt, als diese für Radfahrer gesperrt war. Und das hat mir sinngemäss der Polizist gesagt, als er und seine Kollegen am Hauptbahnhof mich und viele andere Rotlichtfahrer mit einer 40-Franken-Busse bestraften.


Wirklich, ich bin ein sehr gemässigter Ampelignorant. Trotzdem werde ich, so scheint mir, überdurchschnittlich oft von Laienverkehrserziehern zurechtgewiesen, vor allem von ebenfalls alten. Ihr Ton ähnelt oft jenem des erwähnten Bümplizer Sittenwächters: Sie schimpfen, sie schreien. Bei einem harmlosen Senior wagen sie wohl eher die harte Tour, als wenn ein junger Wilder vorbeibikt.


Manchmal juckts mich, doch getraut habe ich mich noch nie, den Hütern des heiligen Rotlichts meine Sicht zu erklären. Erstens, dass ich, grosses Velofahrer-Ehrenwort, die erleuchteten Weisungen der Strassenverkehrsordnung nur dann missachte, wenn ich weiss, dass ich niemanden, nicht mal mich selber gefährde.


Und dass zweitens sorgfältiges Übertreten von Vorschriften ein ganz ausgezeichnetes Anti-Aging-Programm ist. Ganz gerne würde ich bei Vorfällen wie jenem in Bümpliz absteigen und dem Altersgenossen gegenübertreten. «Lieber Herr Rentner», würde ich sagen, «versuchen Sie es doch auch einmal. Gehen Sie bei Rot über eine Kreuzung. Es beschwingt. Es beflügelt. Es macht Sie zehn Jahre jünger.»