seniorweb.ch, 8.April
 
Im Lift nach oben steht ein Bett

Es gibt viele Sex-Portale, vermutlich eins für jede Art und Unart des geschlechtlichen Verkehrs. Eine spezielle Kategorie sind Plattformen mit dem Etikett „Sugar Daddy sucht Sugar Babe“: Alte Männer suchen junge Frauen. Gemäss Eigenaussage sehen sich diese Online-Vermittlungen allerdings nicht als reine Prostitutions-Vehikel.

Die Angesprochenen sollen auf einer vorher gemeinsam vereinbarten Basis eine längere oder kürzere Beziehung aufbauen. Reisen und Shopping (beides im Luxussegment) sind beliebte Stichworte. Daneben weisen die Portale darauf hin, dass sich reiche Männer hier als Mäzene profilieren und begabte Frauen fürsorglich (und mit Geld) unterstützen können.

Ich habe mich bei zwei Plattformen eingeloggt. Seither habe ich täglich bis zu 50 Botschaften im Postfach. Fast ausschliesslich sind  es Prostituierte. Sie bieten das ganze Programm: von blutjung über sadomaso zu Transen.

Interessanter sind die Zusenderinnen, die erhoffen, was die Portale eigentlich versprechen, Mäzenatentum. Da ist zum Beispiel eine 22-jährige Opernsängerin „Zurzeit studiere und arbeite ich, um ein internationaler Star zu werden.“ Die künftige Diva sucht einen Mentor, der sie unterstützt und begleitet. Sie liebt es, nette Leute zu treffen. Und sie schätzt guten Wein. „I used to live in Napa Valley.“

In einer Stadt am Jura-Südfuss lebt eine 33-jährige Künstlerin. Sie malt und macht Skulpturen, gute Arbeiten. Sie hat Stipendien erhalten und konnte ihre Werke schon mehrmals in Kunsthäusern und  Galerien ausstellen. Nun sucht sie einen kunstverständigen gutsituierten Freund. Was sie als Gegenleistung bietet ist so klar, wie ihr Wunsch nach Geld: Sex.

Da ist die Doktorandin, Studienrichtung unbekannt, die für ihre Promovierung Hilfe braucht, nicht fachliche Unterstützung, sondern... eben. Ziemlich häufig sind Studentinnen. Offen bleibt, ob sie tatsächlich büffeln, oder ob der intellektuelle Anstrich bloss den Verkaufswert steigern soll.

Um diese Angebote zu ordnen, öffne ich zwei Schubladen. Die eine schliesse ich gleich wieder. Darin sind die vielen Prostitutierten. Immerhin sieht es auf diesen Plattformen nicht nach üblen Machenschaften aus. Sondern ist Geschäft ist Geschäft ist Geschäft. Und das geht mich nichts an.

In der zweiten Schublade stecken die Sängerinnen, Künstlerinnen, Studentinnen, künftigen Doktorinnen. Ich sag das mal schroff: Sie verkaufen sich. Mit oder ohne Sex. Mindestens haben sie aber vorgetäuschte Gefühle, Zeit und Aufmerksamkeit im Sortiment.

Ich versuche, zu bewerten. Erstens Daumen hoch, die Argumente für diese Verbindungen:  Wenn es der Kunst, der Wissenschaft, dem Lernerfolg nützt, heiligt der Zweck die ja auch gar nicht so argen Mittel. Wenn es den Daddies Freude macht, ihre Babes zu beschenken, freuen sich beide. Schliesslich: Wenn man die Beziehung geschäftsmässig regelt, ist das zwar nicht Liebe, aber wenigstens schafft dies klare Verhältnisse. Ach ja, wer viel Geld für Unnützes ausgibt, ist zwar ein Umweltgrüsel, aber belebt wenigstens die Wirtschaft.

Zweitens Daumen runter, die Argumente dagegen: Zuerst der Beziehungsschaden: Das Daddie-Babe-Verhältnis belastet die reguläre Beziehung, die Ehe, die Partnerschaft, was auch immer. Dann der Scherbenhaufen: Wenn das diskrete Verhältnis neudeutsch nicht mehr so richtig performt und der Zahl-Papa wenigstens einen Teil seiner Investitionen zurück will, gibts Ärger, bekannt sind Gerichtsprozesse. Weiter der Seelenschaden: Wie geht die Künstlerin später damit um, dass der Weg zum Erfolg teilweise übers Bett verlief? Und schliesslich die Fallgrube: Was passiert, wenn die vermeintlich geheime Liaison ans Licht kommt? Nichts Gutes.

Gesamthaft: Daumen hoch oder runter? Ich weiss es nicht. Ich versorge die Schubladen in einer Kommode und klebe einen Zettel dran: „S git nüd, wo’s nid git.“